Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
was dran ist, von wegen Himmel und Hölle?«
Sie zog ihre Schultern hoch.
Er schüttelte den Kopf: »Die nehmen mich eh nicht, also nicht gefaltet, sondern linke Faust nach oben, wenn schon.«
»Wer soll das machen?«
»Na du, bevor die Starre einsetzt.«
Annie war sich nicht mehr sicher, ob sie ihn wirklich anfassen wollte, wenn er starr war, das Wort klang doch recht scheußlich.
»Mach du das lieber selbst, wenn’s so weit ist.«
Er schaute sie grinsend an: »Immer die Faust hoch, sobald mir schlecht wird?«
»Genau.«
Er lachte und drückte sie an sich. »Prima Idee. Du bist so ein kluges Mädchen!«
Seitdem er derart konkret sein Ende kommen sah, hatte Opa angefangen, sein Leben zu verändern: Zuerst hatte er seine beigefarbene Windjacke weggeworfen und seine ausgebeulten Jerseyhosen.
Stattdessen hatte er sich Anzüge und Schlipse gekauft, so was hatte er im ganzen Leben zuvor nicht getragen, außer zu Beerdigungen. Jeden Tag lief er nun perfekt gekleidet umher,
tatsächlich frisch geduscht und immer gründlich rasiert.
Er kaufte sich ein Nachtsichtgerät, mit dem er eigentlich Tiere beobachten wollte, aber viel häufiger Menschen entdeckte, die im Dunkeln ihre Partner wechselten.
»Sie tauschen nachts die Betten«, berichtete er daheim. »Und wie viele! Treffen sich zu zweit oder zu dritt oder mehr, lecken, kneifen und beißen, schlagen sich und
jauchzen dabei, schlafen miteinander, binden sich fest, würgen sich gegenseitig oder einzeln und ersticken fast.«
»Alle durcheinander? Wo?«, fragte Nette. »Ich weiß von nichts.«
»Die hässlichsten Männer holen sich fremde Frauen ins Haus, als seien wir hier bei Bauer sucht Frau .«
In seinem Sessel versunken saß er da und starrte auf den abgeschalteten Fernseher. »Vielleicht ist das Mode.«
Tage später erklärte er Nette, er übergebe ihr alles, sie solle mit den Kirschen glücklich werden, er gehe jetzt in Rente. Von da an saß er im eleganten Anzug mit
Schlips am Computer und beschäftigte sich mit den absonderlichsten Dingen. Zum Beispiel schaute er online täglich einem englischen Käse beim Reifen zu, oder er fuhr mit einem
virtuellen Zug in Echtzeit durch Tadschikistan. Und irgendwann, davor oder währenddessen, verliebte er sich wie alle anderen auf irgendeiner Website in ein Mädchen, die nur fünf
Jahre älter war als Annie.
»Sei vorsichtig«, warnte Nette. »Solche Geschichten enden im Desaster, auf diese Weise gerätst du an Betrügerinnen und wirst nach Strich und Faden
ausgenommen.«
Opa hatte seiner Ansicht nach alles richtig gemacht, er hatte Ninotschka in einem harmlosen Forum zum Thema Industriekirsche aufgespürt, jene robuste Frucht, die allem Anschein nach in
Deutschland keine Zukunft mehr hat, in der Ukraine aber noch Profit abwirft, das zumindest mailte ihm Ninotschka, die mehr schlecht als recht Deutsch schrieb. So ganz ohne Kirschen kam der Opa dann
doch nicht im Leben zurecht, er kannte ja nichts anderes.
»Es ist eine seriöse Sache.«
»Sie fädelt es nur geschickt ein.«
Opa war kein feiger Mann, der bloß virtuell von den Vorzügen einer Frau träumte oder solche Kontakte um anzügliche Fotos bat, sondern er buchte zwei Einzelzimmer und lud sie
freundlich zu einem Prager Kongress über die Erzeugung von Kirschpulver ein. Das schien in den USA ein großer Erfolg zu sein, da man den darin enthaltenen Antioxidantien
gesundheitsfördernde Wirkungen nachsagte. Das ungleiche Paar lernte sich kennen und lieben, trat die Heimreise gemeinsam an, und nun lag Ninotschka in Opas Bett.
Aber nicht nur das, zum Erstaunen von Nette und Annie blieb die Fremde dort liegen, auch tagsüber. Der Opa brachte das Essen, das seine Tochter zubereitete, auf einem Tablett hoch in den
ersten Stock und stellte das schmutzige Geschirr prompt nach der Mahlzeit wieder unten in der Küche ab, damit seine Enkelin es abspülte.
»Ja, spinnst du jetzt?«, fragte Nette.
»Nein«, antwortete Opa. Und fügte grinsend hinzu: »Oder doch?«
Annie konnte ihre Erwachsenen nicht mehr ernst nehmen, die beiden waren alberne Kinder geworden.
Die Frischverliebten machten da oben im Zimmer einen Heidenkrach, Annie kam es vor, als würde das schwere Bett immer mal wieder in die eine oder andere Ecke geschoben und auch die anderen
Möbel verrückt, damit Ninotschka wenigstens ein bisschen herumkam in Deutschland, sie verließen ja nicht oft den Raum. Der Alte kaufte seinem Mädchen klitzekleine Wäsche
für viel Geld, die Familienkasse
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