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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schreiber
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inzwischen allerdings den
Reißverschluss geöffnet.
    »Was sind das für Geräte da draußen bei dir im Garten?«
    »Frontlader, Pflug, Feldhäcksler, Mähaufbereiter, Egge und Mulchgerät, hab aber auch Feldspritzen und von Zapfwellen angetriebene Luftpumpen und so.«
    »Cool. Wo hast du das denn alles her?«
    »Von John Deere.«
    »Das bist doch du selbst?«
    Der Mann hatte sein Profil im Internet nach dem amerikanischen Landmaschinenhelden benannt, und Paula kannte ihn nur unter diesem Namen. Er hob seine Hand und schwor: »Ich werde niemals
meinen Namen auf ein Produkt setzen, in dem nicht das Beste steckt, das in mir ist.«
    »Wie bitte?«
    »Das ist der berühmte Schwur des echten John Deere.«
    »Woher weißt du denn so was?«
    »Hab sein Zeug lange verkauft, als es noch viele Bauern und Äcker gab, die beackert wurden.«
    »Findest du mich schön, John Deere?«, fragte sie ihn, stützte die Hände in ihre Taille und wackelte mit der Hüfte.
    »Och«, antwortete er verlegen, kratzte sich am Bauch und schüttelte seinen Kopf wie ein Hund, der in den Regen gekommen ist. Er öffnete seinen Kühlschrank, holte eine
Flasche Bier heraus und biss den Kronkorken mit seinen schon beschädigten Zähnen ab, hielt sich den Flaschenhals in den Mund und legte seinen Kopf in den Nacken, das Bier schien aus der
Flasche direkt in den Magen zu gluckern, er schluckte nicht. Dann stellte er die Flasche auf den Küchentisch, öffnete den Deckel seines Abfalleimers und spuckte erst jetzt den Verschluss
aus. Stolz grinste er seinen Gast an, als habe er einen Zaubertrick erfolgreich vorgeführt und wünsche Applaus.
    Paula schwante langsam, dass ihre Flucht ein Abenteuer war. Allein die Düfte an diesem Ort waren eine Reise wert gewesen, diese unzähligen Variationen von Gestank bis
Wohlgeruch – nichts dergleichen hatte sie je erlebt. Und Erde statt Pflastersteinen, Tiere und Ungeziefer statt Desinfektionstüchern. Sie nahm sich vor, im Haus dieses Mannes in
eine Art Starre zu fallen, griechischen Landschildkröten gleich, die geborgen in Sand und Gartenerde und von feuchtem Laub bedeckt überwintern können. Sie war nicht einfach
abgehauen, sondern hatte etwas zu erledigen, weit weg von daheim, und das würde dauern. Und obgleich sie ihr ganzes Dilemma begriff, ignorierte sie ihren Zustand, dachte nicht darüber
nach. Seit Wochen schien sie eine Art Schutzhülle zu haben, die sie vor Aufregungen und Traurigkeit bewahrte. Ob beispielsweise ihr Vater zu lang auf Dienstreise gewesen war oder daheim mit
ihr Karten gespielt hatte, war ihr gleich geworden. Ob sie im Unterricht gelobt oder getadelt wurde, gute oder schlechte Leistungen erbrachte, hatte keinerlei Einfluss mehr auf ihre Stimmung.
    John Deere gab ihr einen Schlafplatz unterm Dach, es war kein Zimmer, sondern bloß der Giebel des Hauses, an der höchsten Stelle nicht mal eineinhalb Meter hoch.
    »Weshalb muss ich hier oben hin? Unten sind doch genug Zimmer.«
    »Da lebe ich, da kommt mir keiner hin, schon gar nicht so ein Gör wie du.«
    Sie kletterte eine Leiter hinauf und robbte vor zum kleinen Fenster an der Südseite. Hier würde sie auf einer Matratze liegen, unter einer schweren Federdecke in rot und weiß
karierter Wäsche.
    Zwischen zwei und vier Uhr wurde sie regelmäßig wach werden, wälzte sich, fand keinen Schlaf und fürchtete sich vor jeder Kleinigkeit, vor den Geräuschen, der Enge, den
Spinnen, Mücken oder Mäusen. Sie sehnte sich nun doch ihre Mama herbei, die ihr alle Unannehmlichkeiten abgenommen hatte, und ihren Papa, der ihr jeden Wunsch erfüllte. In diesen
Momenten entschied sie, gleich am nächsten Morgen nach dem Aufstehen heimzufahren, so schnell es ging, sich ihren Eltern anzuvertrauen, eine Lösung zu finden. Am Tag aber verwarf sie
diesen Gedanken regelmäßig wieder.
    John Deere war zeit seines Lebens ein harmloser Geselle gewesen. Seine Kunden hielten ihn für naiv, zogen ihn auf, er stünde unter dem Segen oder Fluch einer Fee, die verfügt
hatte, dass er nie jemanden übers Ohr hauen könne. Er musste ihnen recht geben, seine Gutmütigkeit hatte dazu geführt, dass andere ihn übers Ohr hauten, ihn keiner ernst
nahm, er zeitlebens schlecht verdiente und inzwischen allein lebte, weil seine Frau einem üblen Schuft den Vorzug gab und ihn für unfähig hielt, sie auszuhalten. Die Melancholie
haftete an ihm wie der Geruch von Wagenschmiere, mit dem er die Radlager seiner Maschinen einfettete.
    Paula beobachtete interessiert,

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