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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schreiber
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nachts draußen allein, daheim auch kein Mensch mehr, den man hätte hinzuziehen
können, wenn etwas geschah.
    Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich ängstigen würde, doch nun fehlte ihr das elektrische Licht gewaltig, der Mond war nur ein krummer, schlapper Strich am Himmel, den sie
durch das kleine Fenster sah, bevor ihr die Augen zufielen. Die Bäume, die ihr seit Jahren vertraut waren, schienen im Dunkeln düstere Gespenster zu werden, die sich aus der Erde
fortrissen wie Hunde von Ketten und losstürmten, vielleicht den Staren hinterher. Ihre blühende Fantasie machte alles noch schlimmer. Jedes Knacken weckte sie. Ein Rascheln wurde zum
Schritt einer Mörderin, alte Hexen ritten eben in Annies Halbschlaf auf geschorenen Schafen zwischen den Baumreihen entlang. Im Schutz der Dunkelheit suchten sie knackfrische Mädchen, um
sie auszulutschen oder sich ihr Blut ins Gesicht zu schmieren, um davon jünger zu werden. Nun kroch der Mathelehrer nackt durch die Erde, Unwesen pickten ihm die Gliedmaßen ab und
teilten den Rumpf mit riesigen Scheren wie Regenwürmer. Danach träumte sie von Ulm, obwohl sie diese Stadt nicht mal kannte. Neben einem Hotel stand ein Holzstoß, der plötzlich
umfiel. In dieser ersten Nacht schlief sie kaum, und als sie am Morgen schweißnass erwachte, fragte sie sich, was der ganze Unsinn sollte.
    Jetzt verstand sie endlich die scheuen Eichhörnchen, die drei Viertel ihrer Zeit damit verbrachten, sich nach Feinden umzusehen, ihre Ohren zu spitzen und zu horchen. Sie lag hier
draußen wie ein Bratenstück für jeden Wildgewordenen und konnte sich beängstigend genau vorstellen, wie solch ein Verbrecher sie fraß.
    Annie sehnte sich nun doch nach den schützenden Mauern daheim, nach Nette und Opa. Beide hatten sie trotz all ihren Zankereien fest im Arm gehalten, wenn sie nachts weinen musste, hatten
sie umsorgt, wenn sie krank gewesen war, daran erinnerte sie sich jetzt. Hier draußen war dagegen niemand, plötzlich vermisste Annie sogar Nettes Wüten und Heulen. Das war alles in
allem besser, als gar keine Mutter in der Nähe zu haben.
    Ein Geräusch! War das eben ein Kratzen am Holz? Ein Rascheln. Tatsächlich, etwas strich an ihrer Haut entlang.
    »Ja, seid ihr denn verrückt?«
    Die beiden Katzen nur, Annie war erleichtert, sie steckte ihre Nase in ihr Fell, atmete den Geruch ein, fühlte das kleine Herz klopfen, die Wärme. So kuschelten sie sich aneinander und
schliefen gemeinsam ein.
    Am frühen Morgen schob Annie die dösenden Freunde vorsichtig zur Seite, stand auf, schlurfte vor die Tür und reckte sich genüsslich. Ein wenig Dunst lag über dem Boden,
längst kein Nebel, bloß ein Schleier, das Gras war feucht, Schnecken krochen darin herum oder waren auf Halme und Steinchen geklettert, die Luft war schön kühl und würzig.
Annie atmete mehrere Male tief ein, dieser morgendliche feuchte Geruch war einfach wunderbar. Und das alles gab es nur um diese Uhrzeit im Sommer auf dem Land, Städter und Langschläfer
erlebten es nie. Etwas abseits hockte sie sich ins Gras, verrichtete ihr Geschäft und lauschte dabei den Vögeln, die allerschönste Lieder sangen. Einer klopfte schnell, ein anderer
schien zu lachen wie eine alte Frau, ein Dritter pfiff mehrmals schrill, machte eine Pause, horchte womöglich, ob jemand antwortete, und versuchte es wieder. Ein weiterer klang, als
schüttelte man eine Bettdecke aus. Schüchtern fragten die einen, aufdringlich antworteten die anderen. Annie rupfte ein Büschel feuchtfrisches Gras aus und reinigte damit ihren Po,
ging zum Bach hinüber, zog ihre Kleidung aus und wusch sich, obwohl es kalt war. Eine Zahnbürste hatte sie noch nicht hier, einen Jogginganzug brauchte sie ebenfalls, wenn es mal
kühler würde, auch eine Decke wollte sie aus dem Haus herbringen, ein Spiegel im Baum wäre schön.
    Das Radio und Opas Husten fehlten hier, die Klospülung wurde nicht betätigt, und keine Nette kochte Kaffee, Annie hörte nur sich selbst, wie sie ging und atmete und manchmal
blähte, ohne dass es irgendjemanden störte. Das war ein klarer Vorteil des Alleinseins, man musste sich für nichts genieren. Vielleicht würde man, dachte sie, wenn man jahrelang
so allein blieb, mit der Zeit alles Anständige verlieren, mit den Händen essen und schließlich gar das Sprechen verlernen. Sie wünschte sich darum höflich einen Guten Morgen und würde sich später wohl auch Schlaf gut sagen, um zumindest mit sich selbst in guter

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