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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schreiber
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Göttliches, auf dass es irgendwie nütze. So ging es bis in die Nacht,
irgendwann muss Annie in den Sessel gesunken sein, schlief dort ohne Träume, dann schreckte sie wieder hoch, wusste nicht, wie lange sie dort gelegen hatte.
    Paula stand mit den Ellbogen auf die Fensterbank gestützt, ihre Beine waren gespreizt, ihr Kopf hing herab, sie schaukelte mit dem Hintern hin und her und stöhnte steinzersetzend.
    Man stirbt ja nicht im Stehen, ging Annie durch den Kopf. Oder doch? Sie erkannte sich selbst kaum wieder, weshalb dachte sie so kaltherzige Dinge? Endlich sprang sie auf, wollte zum Telefon,
sie würde vorsichtshalber mal einen Krankenwagen bestellen.
    »Ich muss aufs Klo«, kam es da von ihrem Gast.
    »Im Flur die nächste Tür links.«
    Nun weinte Paula: »Ich schaffe es nicht allein bis dahin.«
    All das forderte Annie zu viel ab, dies oder jenes tun? Diese völlig Fremde lästig finden oder ihr helfen wollen? Schließlich legte sie Paula den Arm um die Taille und schleppte
sie ins Bad. Gleich danach würde sie anrufen. Wer war dieses Mädchen überhaupt, dachte sie, sich mit solch einer schweren Krankheit in ihr Haus zu verkriechen? Jetzt jaulte sie gar
wie eine Katze, der man auf den Schwanz getreten hatte, hielt sich an Annies Hals fest, bis ihre Wirbel knackten, heulte: »Ich will nicht mehr, ich will das nicht, nein, nicht!«
    Sie erreichten das Bad, da lief es Paula an den Beinen herunter, sie sank zu Boden, mitten hinein in das Malheur. Annie schloss die Tür, sie hatte genug davon. Was hier passierte,
gehörte nicht zu ihrem Leben, sie wollte mit den Körpern und Flüssigkeiten anderer Leute nichts zu tun haben. Sie ging aus dem Haus, ja, sie rannte geradezu in den Garten, lehnte
sich an den Süßkirschbaum, atmete durch. Die frische Luft tat ihr gut, sie wollte partout nicht an das denken, was gerade in der Wirklichkeit geschah, malte sich lieber aus, wie alles
leichter wäre. Diesmal war es keine Windmühle, die ihr geholfen hätte, sondern sie stellte sich einen Oldtimer-Konvoi vor, an dem sie teilnehmen würde. Das taten auch die
stolzen Leute, die manchmal bei ihren Ausflügen durch den Ort gefahren kamen. Sie nahmen meist den Weg zum Schloss, um sich dort im englisch anmutenden Park gegenseitig zu bewundern und zu
fotografieren. Bei solch einer Fahrt wüsste sie genau, wohin es ginge, nämlich einfach mit genügend Abstand den anderen nach. Sie wäre stolz, dass ihr altes Auto lief. Sie
hätte dann selbstverständlich eines, das sonst in einer Garage oder einem Schuppen stand, aufgebockt wegen der ewigen Reparaturen daran, jede einzelne Schraube ihres Wagens würde sie
kennen.
    In solch einem Konvoi hätte sie Jahr für Jahr dieselben Kumpels, irgendeinen Harald, der mit seiner Startnummer regelmäßig vor ihr wäre, und einen gewissen Gunther, der
hinter ihr führe, immer mit Blick auf sie und ihr rotes Auto. Egal, wie sie hießen, zwischen zwei Freunden wollte sie fahren, zumindest ein Wochenende im Jahr wäre sinnvoll und
geborgen verbracht. Davon träumte Annie, draußen an den Baum gelehnt. Sie hatte keinen angestammten Platz mehr in der Welt, die Plantage war verwüstet, und sie begriff schon gar
nicht, was nun zu tun war, ein fremdes Mädchen war in ihrem Bad zusammengebrochen! Endlich holte sie sich selbst aus ihrer Starre, da war doch jemand in Not. Es war, als würde sie von
kräftiger Hand zum Apotheker getrieben, als hätte ein guter Geist sie geschubst. Weshalb war sie nicht vorher darauf gekommen?
    Sie klopfte, klingelte, rief. Aber niemand öffnete, er war bestimmt fortgefahren. Unruhig und besorgt ging sie zurück, stellte sich vor, daheim wäre wie durch ein Wunder Nette,
die dem Mädchen in diesem Moment aufhalf, und Opa, der es anschließend ins Auto setzte und zum Krankenhaus fuhr. Es gibt schließlich Flugzeuge und Taxen, die ersehnte Menschen
zurücktransportierten, und es gibt Ärzte und Schwestern, dachte Annie auf dem Weg und ging langsamer. Zu denen konnte man alles bringen, was man nicht im eigenen Haus haben und nicht
sehen wollte: Krankes, Sterbendes, Risse in der Haut und Eiter. Sobald ein Körper nicht mehr funktionierte, wurde ein Mensch fortgeschafft, Tür zu. Den Rest erledigten in Grün und
Weiß Gekleidete. Es gab spezielle Häuser für zitternde Alte, die Unsinn redeten und ins Bett machten. Da fütterten fremde Leute für Geld die zeternde Mutter mit
Gemüse, und man hatte keine Mühe mehr damit.
    Annie hatte sich immer eine Freundin

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