Süße Herzensbrecherin
Sie ist nicht bei sich und spricht wirr. Überdies zittert sie am ganzen Leib. Wir müssen sie unbedingt in ein Bett bringen – egal wo.“ Cassandra seufzte und schluckte die Tränen hinunter, doch William hörte ihrer zittrigen Stimme an, wie sehr der Zustand ihrer Schwester sie mitnahm. „Es tut mir leid, Sie müssen denken, ich sei verrückt, dass ich mir solche Sorgen mache“, fuhr sie fort und blickte zu ihm auf. Für den Bruchteil einer Sekunde war ihr, als husche ein zärtliches Lächeln über sein Gesicht.
„Sie verhalten sich großartig, Cassandra“, widersprach er, während er insgeheim gewahrte, dass seine zärtlichen Gefühle für sie wieder auflebten. „Es ist nicht verwunderlich, dass die Strapazen der letzten vierundzwanzig Stunden sich allmählich auch bei Ihnen bemerkbar machen“, fuhr er fort. „Aber ich bin sicher, Ihre Schwester wird die Reise überstehen und wieder gesund werden.“
„Bitte, William, London ist noch Stunden entfernt. Könnten wir nicht eine Bleibe ausfindig machen?“
William seufzte und sah sie an. Nach einer Weile nickte er. „Ich kenne eine ideale Übernachtungsmöglichkeit für uns. Wir werden in Kürze dort sein.“
Froh über seine Stärke und die Zuversicht, die er ausstrahlte, versuchte Cassandra sich zu beruhigen und stieg wieder in die Kutsche. Sie musste daran denken, wie zärtlich er ihre Hand gehalten hatte – beinahe so, als sei er sich seines Tuns nicht bewusst. Von Zeit zu Zeit raubt er mir mit seinem Charme die Seelenruhe, dachte sie und sah geistesabwesend aus dem Fenster, während sie Dörfer, verlassene Hütten und Felder passierten.
Nach einer Weile verließen sie die Hauptstraße und bogen in einen schmalen, gewundenen Seitenweg ein. Cassandra hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden. Sie konnte nur hoffen, dass sie bald ankamen. Besorgt betrachtete sie Emma, die mit glühenden Wangen zusammengesunken in der Ecke saß.
Zunehmend beunruhigt sah sie wieder aus dem Fenster und suchte die Gegend nach einem Haus ab, doch sie wurde enttäuscht. Sie fuhren durch eine Parklandschaft, in der das Wild äste, ohne Notiz von ihnen zu nehmen. Plötzlich jedoch tauchte eine baumgesäumte Allee vor ihnen auf, und wenige Augenblicke später überquerten sie eine malerische Steinbrücke, die auf ein hohes, vergoldetes schmiedeeisernes Tor zuführte. Kaum hatten sie es passiert, sah Cassandra einen imposanten Herrensitz aus honigfarbenen Ziegeln mit vielen großen Fenstern vor sich auftauchen, in dessen Fensterscheiben sich das Sonnenlicht spiegelte. Solch eine prachtvolle Residenz hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen.
Als die Kutsche vor einer breiten Freitreppe anhielt, die zu dem hochherrschaftlichen Portal hinaufführte, strömte eine Schar Dienstboten aus dem Haus. Eingeschüchtert stieg Cassandra aus der Kutsche und wartete, bis William sich zu ihr gesellte. „William, wem gehört dieses Haus?“
„Mir. Willkommen in Carlow Park. Jetzt lassen Sie uns Ihre Schwester hineinbringen.“ Als nähme er die Aufregung um seine Ankunft nicht wahr, kümmerte er sich, ohne das Personal eines Blickes zu würdigen, erst einmal um Emma. Er hob sie auf seine Arme und trug sie die Stufen hinauf an den Dienstboten vorbei, die wie vom Donner gerührt stehen geblieben waren. Cassandra folgte ihm auf dem Fuß. Ihr ganzes Augenmerk war auf ihre jüngere Schwester gerichtet, doch sie bemerkte, wie Williams Miene sich erhellte, als eine diensteifrig aussehende Frau in Schwarz ihm entgegentrat.
„Mrs. Henderson, ist ein Gästezimmer hergerichtet?“
„Willkommen daheim in Carlow Park, Mylord – ja, das Grüne Zimmer ist stets bereit für unerwarteten Besuch.“ Die Haushälterin lächelte, aber ausnehmend glücklich über seine Heimkehr nach drei Jahren Abwesenheit schien sie nicht zu sein. Ihr Blick wanderte neugierig von dem besinnungslosen jungen Mädchen in den Armen des Earls zu der zutiefst besorgt aussehenden jungen Dame, die ihm folgte.
„Danke. Schicken Sie unverzüglich jemanden zu Dr. Tomlinson. Man soll ihm ausrichten, dass es eilt.“
Ohne Mühe erklomm William die Stufen zum ersten Stock und ging durch einen mit edlen, dicht geknüpften Brücken ausgestatteten Flur, dessen Wände Familienporträts zierten, bis er vor einer Tür stehen blieb, die, so vermutete Cassandra, in das Grüne Zimmer führte. Er trat ein und legte Emma behutsam auf dem Bett ab, um auf der Stelle zurückzutreten und sie ihrer älteren Schwester zu überlassen.
„Ich
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