Suesse Hoelle
gedankenverloren. Keinesfalls würde er sie über seine Fortschritte unterrichten oder vielmehr über das Ausbleiben derselben.
»Ich will Ihnen etwas sagen«, sprach sie weiter. »Heute haben Sie herausgefunden, dass ich noch nie verhaftet worden bin, dass ich nicht einmal einen Strafzettel aufzuweisen habe und dass, laut meinen Nachbarn, ich keinen Freund habe und auch keinen Besuch bekomme. Meine Rechnungen bezahle ich pünktlich, und ich gebe auch meine Bücher rechtzeitig in der Bibliothek zurück, obwohl ich das heute auf den letzten Drücker erledigt habe.«
»Warum erzählen Sie mir nicht noch einmal, was am Freitag Abend passiert ist?« fragte er. Seine Stimme klang hart.. Sie hatte ganz genau beschrieben, wie sie den Tag verbracht hatte, und das gefiel ihm nicht. Die Wut, die in ihm brodelte, hielt er unter Kontrolle, doch nur mühsam. Diese Dame stellte ihn offensichtlich auf die Probe.
Er sah an ihren Schultern, wie sie wieder ihre Abwehrhaltung einnahm. »Welchen Teil des Abends haben Sie nicht verstanden?«
»Alles möchte ich gern noch einmal hören. Tun Sie mir den Gefallen. Fangen Sie einfach von vorne an.«
Sie wandte sich zu ihm um und war wieder genauso blass wie am Morgen, als sie ihm die Geschichte zum ersten Mal erzählt hatte. Ihre Hände, so stellte er fest, hatte sie zu Fäusten geballt.
»Beunruhigt es Sie, darüber zu sprechen?« fragte er lauernd. Er hoffte, dass es so war. Wenn ihr Gewissen sie plagte, dann würde sie vielleicht noch mehr herausrücken. So etwas war schon oft geschehen, obwohl meist aus Dummheit oder aus einem Gefühl perversen Stolzes, der den Täter zu einem Geständnis trieb.
»Natürlich. Beunruhigt es Sie nicht, es anzuhören?«
»Es zu sehen war viel schlimmer.«
»Ich weiß«, murmelte sie, und einen Augenblick lang war der Ausdruck ihrer Augen nicht mehr so wachsam. Schmerz las er in diesen dunklen blauen Tiefen und Zorn, doch vor allem Trostlosigkeit, und ihre Verzweiflung tat ihm richtig weh.
Auch er ballte die Hände zu Fäusten, um sich davon abzuhalten, ihr mit seinen Armen Halt zu gewähren. Plötzlich sah sie so zerbrechlich aus, als könne sie jeden Augenblick ohnmächtig werden. Vielleicht ist sie ja auch nur eine verdammt gute Schauspielerin, rief er sich rasch zur Ordnung und verbot sich das sowohl ungewollte als auch für ihn untypische Mitgefühl für eine Tatverdächtige. »Erzählen Sie mir vom Freitag Abend«, forderte er sie auf. »Was sagten Sie doch gleich, haben Sie gemacht ?«
»Ich war im Kino, in der Vorstellung um neun Uhr.«
»Wo?«
Sie nannte ihm den Namen des Kinocenters.
»Und welchen Film haben Sie gesehen?«
Weitere Auskünfte folgten. »Augenblick... vielleicht habe ich sogar noch die Eintrittskarte. Ich stecke sie normalerweise immer in meine Tasche und habe die Jacke seitdem nicht gewaschen. Sie müsste eigentlich noch dasein.« Sie ging schnell aus dem Zimmer, er folgte ihr nicht, lauschte jedoch aufmerksam ihren Schritten, damit sie nicht heimlich aus dem Haus schlüpfte. Mit Vorbedacht hatte er seinen Wagen hinter ihrem geparkt, sie konnte also nicht wegfahren, und er glaubte nicht, dass sie versuchen würde, zu Fuß zu entkommen. Warum sollte sie auch, wenn sie so sicher war, dass es keine Schuldhinweise gab? Unglücklicherweise hatte sie ja recht damit.
Es dauerte nur eine Minute, bis sie zurückkam und ihm die durchgerissene Eintrittskarte reichte. Sorgfältig bemüht, ihn nicht zu berühren, ließ sie das Stückchen Papier in seine Hand fallen. Dann trat sie eilig ein paar Schritte zurück. Dane verzog den Mund, als er es bemerkte. Sie hätte nicht deutlicher ausdrücken können, dass sie seine Nähe nicht schätzte. Er blickte auf den kleinen Abschnitt in seiner Hand, es war ein Computerausdruck mit dem Namen des Films, dem Datum und der Uhrzeit. Er bewies, dass sie die Eintrittskarte bezahlt, aber nicht, dass sie den Film wirklich angeschaut hatte. Er selbst kannte die Story nicht, deshalb konnte er ihr auch keine Fragen darüber stellen.
»Um wie viel Uhr haben Sie das Kino verlassen?«
»Als der Film aus war. Ungefähr um halb zwölf.« Marlie stand neben dem Tisch.
»Und welche Strecke haben Sie nach Hause genommen?« Sie sagte es ihm, gab ihm sogar die Nummern der Ausfahrten.
»Und wo waren Sie, als Sie diese sogenannte Vision hatten?«
Marlie presste die Lippen zusammen, doch sie ließ sich nichts anmerken, und ihre Stimme klang fest. »Wie ich Ihnen heute morgen bereits sagte, war ich gerade vom
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