Süße Küsse nur aus Rache?
war der Tisch gedeckt. Der Hausknecht rückte ihr den Stuhl zurecht, und sie murmelte „Danke“, was alles an Deutsch war, das sie kannte, außer „Bitte“.
Er antwortete in einer Sprache, die sie nicht verstand.
„Schwyzerdütsch“, erklärte Angelos mit einem Lächeln. „Versuchen Sie gar nicht erst, es zu verstehen. Mit Hochdeutsch hat es nur wenig zu tun. Auch ich habe meine Schwierigkeiten damit.“
Es war sonderbar, ihn lächeln zu sehen. Sie wollte ihn fragen, ob dieses Chalet ihm gehörte, doch was kümmerte es sie? Vermutlich hatte er Besitztümer auf dem ganzen Erdball. Stattdessen ertappte sie sich dabei, ihn zu fragen: „Wie viele Sprachen sprechen Sie?“
Im selben Moment, als sie den Satz beendet hatte, überlegte sie, was in sie gefahren war, ein Zeichen von Interesse von sich zu geben.
Er schien die Frage allerdings nicht abwegig zu finden.
„Vier“, antwortete er. „Griechisch natürlich. Englisch ist Pflicht, und Deutsch und Französisch habe ich hier auf einer Schweizer Schule gelernt.“
Thea blieb die Luft weg. Sie konnte sich Angelos Petrakos unmöglich als Schuljungen vorstellen. Ausgeschlossen.
„Sind Sie in der Schweiz aufgewachsen?“ Wieder wunderte sie sich im Nachhinein über ihre Frage.
„Nein. Mein Vater steckte mich erst mit dreizehn in ein Schweizer Internat. Es sollte meinen Horizont erweitern. In der Schweiz gibt es viele Internate von internationalem Rang.“
„Hatte Ihre Mutter denn nichts dagegen?“
Wie konnte sie auf einmal hier sitzen und mit ihm eine normale Konversation pflegen?
„Meine Mutter starb, als ich drei war. Ich habe keine Erinnerung mehr an sie. Mein Vater und ich hielten deshalb zusammen wie Pech und Schwefel. Ich war ein Einzelkind. Er schuf Petrakos International und rackerte sich damit zu Tode. Er starb, als ich einundzwanzig war.“
Seine verspiegelten Brillengläser gestatteten keinen Blick in seine Augen, als er sein Handgelenk leicht anhob.
„Diese Uhr hat er mir zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt. Es war sein letztes Geschenk an mich. Seither hat es keinen Tag gegeben, an dem ich sie nicht getragen hätte.“ Er hielt kurz inne, ehe er mit besonderer Betonung fortfuhr: „Sie werden daher sicher verstehen, dass mir dieses Stück mehr bedeutet als sein materieller Wert.“
Röte überzog ihre Wangen. „Das, was ich getan habe, erfüllt mich auch nicht mit Stolz“, gab sie leise zu.
„Warum also?“
Seine Frage stieß zu wie eine scharfe Klinge. Vor Theas geistigem Auge erschien das kranke, silbrige Glänzen der Klinge in Mikes Hand. Sie verdrängte die schaurige Vision. Sie hatte diese Erinnerung aus dem Gedächtnis verbannt, so, wie alles, was mit Kat zu tun und was Kat getan hatte. Und das Warum. Jetzt führte sie ein anderes Leben.
Sie war froh, dass in diesem Moment das Essen serviert wurde. Das ersparte ihr eine Antwort. Erstaunlicherweise machte sie sich mit großem Appetit über die leckere Fleischsuppe her, die ihr vorgesetzt wurde, angereichert mit frischen Kräutern und Knödeln.
„Hier oben müssen Sie sich daran gewöhnen, mehr zu essen“, riet Angelos. „Die frische Bergluft regt bekanntlich den Appetit an.“ Seine Frage von vorhin blieb unerwähnt. „Verraten Sie mir, ob Sie gerne wandern?“
Theas Löffel blieb auf halbem Wege zum Mund in der Luft schweben.
„Bergwandern“, erklärte Angelos. „Deshalb sind wir hier.“
Sie stutzte. Angelos Petrakos durch die Gebirgslandschaft wandern zu sehen, kam in ihrer Vorstellung nicht vor. Der arrogante Mr Big inmitten der Berge?
„Ich besitze keine Bergstiefel“, bemerkte sie, nur um etwas zu sagen.
„Ich werde eine Auswahl aus dem Dorf kommen lassen. Und eine Kollektion passender Kleidung.“
Nun, das war wieder Mr Big, wie sie ihn kannte. Schließlich gehörte ihm sicher dieses sensationelle Chalet. Dennoch war alles, was sie bisher gesehen hatte, jenseits ihrer Vorstellung von ihm gewesen.
Doch was weiß ich überhaupt von ihm? Ich weiß nur, dass er jeden, der ihm in die Quere kommt, vernichtet.
Das war alles gewesen, was sie von seiner Persönlichkeit kannte. Bis eben hatte sie nicht gewusst, woher er kam, was seine Familie ihm bedeutete, wie er seine Kindheit verbracht hatte. Nichts.
Sie wandte den Blick von ihm ab und starrte in ihren Suppenteller.
Hinter seiner dunklen Brille spürte sie, wie er sie musterte. Sie hörte ihre eigenen Worte. Das, was ich getan habe, erfüllt mich nicht mit Stolz …
In ihrem Verhalten
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