Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
was Sie wollen“, fügte Mr. Archer hinzu, doch der neckende, verführerische Unterton in seiner tiefen Stimme verriet ihr einiges. Doch er war ein Fremder – ein sehr attraktiver Fremder –, dem sie mit schicklichem Abstand begegnen musste. Das verlockende Lächeln, mit dem er seine harmlosen Worte begleitete, zeigte ihr, dass sie besser auf der Hut sein und mehr als nur ein wenig Zurückhaltung an den Tag legen sollte.
„Nun gut, Mr. Archer. Dennoch habe ich noch eine Bitte an Sie. Bisher drehte sich unser Gespräch nur um Edinburgh. Weder Julia noch ich hatten je die Gelegenheit, London zu besuchen. Vielleicht könnten Sie uns einiges über die Stadt erzählen, während wir speisen?“
„Ich bin nicht sicher, dass ich über die Auskünfte verfüge, die dem schönen Geschlecht wichtig wären, aber ich werde mir die größte Mühe geben, Miss Fairchild.“
Julia stieß einen Freudenschrei aus, unterdrückte ihn jedoch hastig mit einem gespielten Husten.
„Wissen Sie, wo man gut speisen kann, oder möchten Sie einige Vorschläge hören?“
„Ich kenne ein Restaurant in der High Street, nicht weit entfernt vom Holyrood House, das vorzügliche Speisen anbietet. Nathaniel ist erst gestern dort mit mir hingegangen, und ich war begeistert. Kutscher“, rief er, „wir werden doch noch an besagter Stelle halten.“
Also hatte er es von Anfang an geplant. Aber statt verärgert zu sein, war Anna seltsam froh über den Gedanken, noch länger bei ihm sein zu können. Mr. Archer verhielt sich an diesem Morgen aufmerksam und zuvorkommend und, was für sie am Wichtigsten war, außerordentlich freundlich zu Julia. Ihr Gespräch hatte sich – nachdem alles über die Kronjuwelen von Schottland gesagt war – um sehr vieles gedreht: Familie, Freunde, die Stadt, Schottland und andere Themen, die man in einer gepflegten Unterhaltung ansprechen konnte.
Schon bald saßen sie an einem hübsch gedeckten Tisch am Fenster und aßen Brathähnchen mit Rübchen und ofenfrischem Brot. Trotz seiner Versicherung, er kenne sich mit Themen, die junge Damen interessierten, nicht sehr gut aus, erfreute Mr. Archer sie mit Geschichten über Bälle und Abendgesellschaften und sehr viel Klatsch. Anna hielt sich zurück und fragte nicht nach dem einen Mann, über den sie am meisten erfahren wollte – ihren Rivalen um die öffentliche Meinung, Lord Treybourne. Mr. Archer schien es keine Schwierigkeiten zu bereiten, hochgestellte Persönlichkeiten zu beschreiben, sodass Anna vermuten musste, er sei entweder mit einer Person hohen Ranges verwandt oder arbeite für sie. Ebenfalls fiel ihr auf, dass er kein einziges Mal seine eigene Familie erwähnte oder die Schwester, die er verloren hatte.
Genauso wenig sprach er von anderen Frauen in seinem Leben – kein Wort über eine Verlobte oder Gattin oder etwa eine verstorbene Gattin.
Nach einer Weile, die ihr wie wenige Minuten vorkam, holte Mr. Archer eine Taschenuhr heraus und nickte. Der schöne Morgenausflug war vorbei, und es war Zeit, in ihren Alltag zurückzukehren. Zu Annas Erleichterung beschwerte Julia sich nicht, und so begleitete ihr Gastgeber sie zur Kutsche zurück, und nach kurzer Fahrt erreichten sie ihr Ziel. Mr. Archer half ihnen beim Aussteigen.
„Mir hat der heutige Ausflug große Freude gemacht, Miss Fairchild, Miss Julia“, sagte er mit einer Verbeugung.
Anna knickste, Julia tat es ihr nach, und dann lächelte sie. „Ich kann wohl in aller Ehrlichkeit sagen, dass Julia und ich seit vielen Monaten keinen so netten Tag mehr erlebt haben, Sir. Unseren herzlichen Dank.“
Sie ging zur Tür, die sich überraschend von selbst öffnete – ein paar Frauen drängten sich dahinter zusammen, die neugierig Mr. Archer angafften. Anna versuchte, sie hineinzuscheuchen, doch sie schauten immer noch kichernd durch das Fenster, bis er sich umwandte und zur wartenden Kutsche zurückschlenderte. Nachdem Anna die Tür geschlossen hatte, hörte sie Becky flüstern: „Lieber Himmel, was war das für ein fescher Kerl.“
Insgeheim musste sie ihr recht geben. Mr. Archer war wirklich ein großartig aussehender Mann. Trotzdem blickte sie die Mädchen streng an. „Mann, Becky. Nicht ‚Kerl‘.“
„Lieber Himmel, Miss Fairchild. Aber er ist doch ein fescher Mann, oder etwa nicht?“, wiederholte Becky schelmisch.
„Ja, das ist er wirklich, Becky“, gab Anna lachend zu.
Die Mädchen kicherten, und es dauerte eine Weile, bis sie sich genügend beruhigten, um sich auf ihren Unterricht zu
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