Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
müssen, lange genug, um Miss Fairchilds Aufmerksamkeit zu erregen. „Nein, nein“, sagte er also in höflicherem Ton. „Kommen Sie herein, das Dinner wird gleich serviert.“
Daraufhin wandte er sich ab, wies einen Diener an, für einen weiteren Gast zu decken, und überließ es David, Miss Fairchild ins Speisezimmer zu begleiten. Mehr als zufrieden ergriff David die Gelegenheit, obwohl er wusste, dass er Nathaniel noch schlechte Nachrichten überbringen musste. Doch seine Abreise war für übermorgen angesetzt, und es war seine letzte Gelegenheit, Miss Fairchild wiederzusehen. Im Speisezimmer hatte man schon neben Nates Schwester für ihn eingedeckt.
Nachdem die Vorstellungsrunde vorüber war, herrschte einen Moment verlegene Stille. David merkte, wie Clarindas Mann, Lord MacLerie, ihm einen misstrauischen Blick zuwarf. Leicht beunruhigt brachte er das Gespräch schnell auf etwas Ungefährliches – Miss Julia.
Das Mahl, soweit er es überhaupt mitbekam, war schmackhaft, doch da er genau gegenüber von Miss Fairchild saß, fand er ihren Anblick sehr viel erfreulicher als die Speisen. Die Konversation berührte die verschiedensten Themen, und kein einziges Mal wurde ein unangenehmer Ton angeschlagen. David bewunderte Miss Fairchilds manchmal recht beißenden Humor, wann immer sie alles andere als zurückhaltend ihre Meinung äußerte. Es bereitete ihm ein gewisses Maß an Vergnügen, sie herauszufordern, nur um selbstvergessen die Bewegungen ihrer sinnlichen Lippen zu betrachten. Bald, viel zu bald, wie er fand, war das Dinner vorüber, und Lady MacLerie schlug vor, Tee und Nachtisch im Salon einzunehmen.
„Wir sind heute Abend ganz en famille , Mr. Archer. Ich hoffe, Sie stoßen sich nicht an so viel Zwanglosigkeit.“
„Ganz und gar nicht, Lady MacLerie. Insbesondere da ich Sie an Ihrem Familienabend ungebeten überfallen habe.“
Er folgte ihnen die Treppe hinauf in den Salon im ersten Stock. Ein Pianoforte stand an der einen Wand, eine andere war mit Bücherregalen gesäumt, die bis zur Decke reichten. Sessel und Sofa waren in der Nähe des Fensters gruppiert. Die Damen setzten sich, die Herren blieben stehen. Dankbar nahm David ein Glas Portwein entgegen.
„Was machen Sie so in London, Mr. Archer?“, fragte Lord MacLerie, während sie in einer Ecke des Raums an ihren Gläsern nippten.
Miss Fairchild und Lady MacLerie waren tief in ihr Gespräch vertieft. David ließ den Blick auf ihnen ruhen, während er überlegte, wie er seine Antwort am besten formulieren sollte.
„Ich verwalte mehrere Landgüter und vertrete die Geschäftsinteressen einiger Wohltätigkeitseinrichtungen.“ Er hatte die Wahrheit vielleicht ein wenig zurechtgebogen, aber dennoch entsprach es der Wahrheit.
„Nur in London oder auch an anderen Orten?“
„Beides, Lord MacLerie.“ David blieb bei seinen knappen Antworten, aus Angst, sich zu entlarven.
„Ich könnte für einige meiner Besitztümer in London einen Verwalter gebrauchen. Vielleicht wäre es ja möglich, dass wir uns das nächste Mal, wenn ich dort bin, treffen und die Angelegenheit besprechen?“
„Selbstverständlich“, erwiderte David. Je eher sie dieses Thema beendeten, desto besser. „Nate weiß, wie man mich dort erreichen kann.“
Er schaute betont auffällig auf die große Bronze-Uhr, die auf einem Regal über dem Pianoforte stand, und dann zu Nate. Nachdem er sein Glas geleert hatte, nickte er ihm zu.
„Mylord, Mylady, Miss Fairchild“, sagte er laut genug, um die Damen einzubeziehen. „Ich hatte nicht die Absicht, so lange zu bleiben, und ich fürchte, ich muss noch einige Geschäfte zu einem Ende bringen, bevor ich Edinburgh verlasse. Nathaniel, kann ich einen Moment mit Ihnen sprechen?“
Die Damen wünschten ihm einen guten Abend, und Miss Fairchild schien noch etwas hinzufügen zu wollen, tat es aber nicht. Das war allerdings auch nicht der Abschied, wie er ihn sich vorgestellt hatte. Sehr viel lieber wäre er geblieben und hätte den angenehmen Abend fortgesetzt. Doch die Zeitschrift in seiner Jackentasche würde dieser Harmonie nur allzu bald ein Ende bereiten.
David ging voraus und die Treppe hinunter, wartete, bis der Diener ihm seinen Mantel gereicht hatte, und sprach erst dann. Ohne weitere Umschweife reichte er Nate die Zeitschrift und schüttelte den Kopf.
„Ich möchte dich bitten, das hier zu lesen, sobald du Miss Fairchild nach Hause geschickt hast, Nate. Wir können uns morgen früh in der ‚Gazette‘ treffen und
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