Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
viele von uns tragen müssen, Miss Fairchild. Doch wenn man zu diesen Verpflichtungen auch noch Ihre Lehrtätigkeit rechnet, dürfte Ihnen kaum freie Zeit zur Verfügung stehen.“
Aus eigener Beobachtung und auch von allem, was Keys und seine Männer ihm mitgeteilt hatten, kannte David ihren Stundenplan ebenso gut wie ihre Arbeitsplätze. Gewiss, es mochte ihr an nichts im Leben fehlen – doch fand sie bei all ihren Pflichten noch Zeit für all die schönen Dinge?
„Mir sind die kleinen Freuden des Lebens nicht unbekannt, Sir. Ich plane sie einfach nur schon im Voraus ein und entziehe mich nicht meinen Pflichten, um meine eigenen Wünsche zu befriedigen.“
„Bewundernswert, Miss Fairchild. Wirklich bewundernswert“, bemerkte er dazu, während sie den inzwischen recht steilen Weg hinuntergingen. David nutzte die Gelegenheit, um ihre Hand zu nehmen, und redete sich ein, dass er es nur tat, um ihr behilflich zu sein, und nicht, um sie berühren zu können. Ihre Worte, in denen sie Freuden und Wünsche erwähnt hatte, weckten die seltsamsten Gefühle in ihm. „Ich hoffe nur, der heutige Ausflug hat ein wenig zu diesen kleinen Freuden beigetragen.“
Zum Teufel noch mal! Er dürfte nicht einmal im Scherz so mit ihr reden. Sie verwirrte ihn so sehr mit ihrem Witz, ihrer Eigenständigkeit und ihrem Pflichtbewusstsein. Aber sie war eine Dame, und kein Mann ohne ehrenhafte Absichten durfte mit einer Dame spielen. Andererseits stimmte das nicht ganz. Er hatte keine unehrenhaften Absichten, denn seine einzige Absicht war, einen angenehmen Vormittag mit ihr zu verbringen.
Und dann tat sie es wieder – sie seufzte und schlug ihn erneut in ihren Bann. Dieses Mal wollte sie, so vermutete er, allerdings nicht ihr Bedauern, sondern ihre Freude ausdrücken – eine Freude, die sie in seiner Gegenwart empfunden hatte. Vielleicht bedeutete das nicht viel, war aber dennoch ein sehr angenehmer Gedanke.
„Es war sehr schön, Sir. Und Sie können doch gewiss sehen, welches Vergnügen Julia an unserem Ausflug gehabt hat. Ich lasse sie normalerweise einfach drauflosplappern, Sie allerdings haben sich ernsthaft mit ihr über die Dinge unterhalten, die ihr so viel bedeuten. Sie wird jetzt tagelang, da bin ich sicher, über nichts anderes reden können.“
Zu seiner Überraschung erreichten sie das Fallgattertor früher als erhofft. Da David selten etwas dem Zufall überließ, hatte er dafür gesorgt, dass die Kutsche bereits hier vor dem Schloss auf sie wartete. Er führte Miss Fairchild zu der Droschke und ließ Miss Julia sich zu ihnen gesellen, entschlossen, sich noch nicht von ihnen zu trennen.
„Wären Sie vielleicht einverstanden, mir beim Lunch Gesellschaft zu leisten, bevor Sie sich wieder Ihren anderen Verpflichtungen widmen? Ich verspreche, Sie und Miss Julia bei der ‚Gazette‘ oder zu Hause abzuliefern, sobald wir gegessen haben.“
David hielt inne und sah Miss Fairchild zu, während sie überlegte. Er hatte seine Bitte vor der kleinen Schwester ausgesprochen, um sich damit einen erwünschten, wenn auch unfairen Vorteil zu verschaffen. Miss Julia sagte zwar nichts, hüpfte aber aufgeregt von einem Bein auf das andere vor Begeisterung und nickte ihrer Schwester zu. Er gab sich Mühe, nicht zu lachen, aber es entfuhr ihm ein leiser Laut, und Miss Fairchild warf ihm einen misstrauischen Blick zu.
Anna wollte eigentlich ablehnen. So viele Gründe sprachen dafür, den Besuch abzubrechen und auf direktem Weg nach Hause zu fahren, doch auch jetzt gab der Ausdruck auf Julias Gesicht den Ausschlag. Sie wollte sich einreden, der erwartungsvolle Blick in Mr. Archers blauen Augen spiele dabei nicht die geringste Rolle, allerdings hatte sie vor nicht allzu langer Zeit lernen müssen, dass sie sich nur selbst schadete, wenn sie versuchte, sich etwas vorzumachen.
Die Wahrheit war, Mr. Archers Gesellschaft gefiel ihr sogar sehr. Sie wollte seine Gesellschaft noch nicht missen.
Schließlich nickte sie. „Vergessen Sie aber nicht Ihr Versprechen, Mr. Archer. Ich darf nicht später als halb zwei in der Schule sein. Julia, wenn wir mit Mr. Archer essen, musst du mich anschließend dorthin begleiten.“
„Oh ja, Anna! Und ich werde meine Rechenaufgaben machen, während du unterrichtest!“ Julias plötzliche Begeisterung für Mathematik zeigte Anna, wie eintönig ihr fest geregeltes Leben doch war. Ein neuer Mensch, eine höfliche Einladung, eine lebhafte Konversation, und schon war Julia betört.
„Ich verspreche alles,
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