Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
ausfragten, Sir“, sagte Lord MacLerie, als sie ihren ersten Schluck nahmen. „Also hielt sie es für das Beste, die Inquisition zu beenden.“
„Obwohl ich nicht für Seine Lordschaft sprechen kann, stehe ich Ihnen gern für weitere Fragen zur Verfügung.“
David hatte genau verstanden, was während des Dinners vor sich ging. Er nahm an, der geheimnisvolle Mr. Goodfellow befand sich unter den Geladenen und wollte auf diese Weise an Informationen herankommen, die er in seinem nächsten Artikel gegen Lord Treybourne verwenden würde. Das war jedenfalls, was er selbst getan hätte – was er getan hatte, indem er nach Edinburgh kam. Schon der Gedanke, dass der Mann sich hier im selben Raum mit ihm aufhielt, erfüllte ihn mit unterdrückter Erregung.
Das Gespräch setzte sich fort, bis drei Portweinflaschen geleert waren, und einige Gentlemen zündeten eine Zigarre an. David begann, Gefallen an der Diskussion zu finden. Die ganze Zeit aber überlegte er, ob Nathaniel der unbekannte Schreiber war. Andererseits kam auch Lord MacLerie infrage. Er hatte eine eigene Meinung und drückte sich sehr gut aus. Mit seinem Geld und seinem Einfluss war er sehr wohl in der Lage, die Zeitschrift finanziell zu unterstützen, bis sie größeren Erfolg verzeichnete. Und die familiäre Verbindung zu Nathaniel bot diese Möglichkeit eigentlich zwingend an.
Als es so weit war, die Damen im Salon aufzusuchen, freute David sich darauf, etwas Zeit mit Anna zu verbringen. Die Unterhaltung der Männer auf dem Weg dorthin drehte sich dieses Mal um Pferde und die nächste Ernte, beides Themen, die ihn interessierten.
Im Salon stimmte ein Terzett gerade seine Instrumente, und das Mobiliar war an die Wände geschoben worden – offenbar begann der Tanzteil des Abends. Anna würde niemals an einer Gesellschaft in London teilnehmen können, jedenfalls nicht an einer, die auch Lord Treybourne aufsuchen würde, also freute er sich besonders darauf, hier in diesem ungezwungenen Umfeld mit ihr tanzen zu können.
Lady MacLerie erwies ihm die Ehre, mit ihm den Tanz zu eröffnen. Die Höflichkeit verlangte, dass er lächelte, auch wenn er mit ansehen musste, wie Anna mit Nathaniel das Parkett betrat. Erst beim dritten Tanz, einem Country Dance, konnte er sie zur Partnerin gewinnen. Besonders ärgerte ihn, dass es sich um einen ihm unvertrauten Tanz handelte und er auf die Schritte achten musste, wenn er nicht über seine eigenen Füße oder die der anderen stolpern wollte. Erleichtert, dass die Musik verstummte, verbeugte er sich und ging, statt wieder zu tanzen, zu dem Tisch mit den Erfrischungen. Ein unausgesprochener Wunsch ging in Erfüllung, als Anna sich bald darauf zu ihm gesellte.
„Wenn ich mich recht erinnere, hat der Apfelwein Ihnen beim Essen Probleme bereitet, Miss Fairchild. Darf ich Ihnen etwas anderes zu trinken bringen?“
„Tee wäre jetzt sehr angenehm, Sir.“
Die Röte ihrer Wangen konnte natürlich vom Tanzen herrühren, aber er hoffte, dass der wahre Grund derselbe war wie beim Dinner. Sein Versprechen, sie wieder zu küssen, stellte natürlich eine Unverschämtheit dar, kaum hatte er es jedoch ausgesprochen, da wusste er, wie ernst es ihm damit war. Und er sah in ihren Augen, dass auch sie an dasselbe dachte, denn sie errötete noch mehr, und ihr Blick ging unwillkürlich zu seinem Mund.
Auch sie erinnerte sich an ihren Kuss, denn ihr Atem wurde plötzlich unregelmäßig. David spürte eine heftige Erregung, doch er weigerte sich, sich von seinen Bedürfnissen beherrschen zu lassen. Schon seit vielen Jahren tat er es nicht mehr. Und ganz gewiss nicht bei jemandem wie Anna – so wie bei keiner Frau, die er nicht zu seiner Gattin machen konnte.
Er wartete, bis der Diener ihnen beiden Tee eingeschenkt hatte, und führte Anna dann zu einem Sofa. Doch statt sich neben sie zu setzen, nahm er in einem Sessel Platz, um ihr ins Gesicht sehen zu können, während sie sprachen. „Sollten Sie noch weitere Fragen über Seine Lordschaft haben, stellen Sie sie mir bitte jetzt, damit wir zu angenehmeren Themen übergehen können, bevor der Abend vorüber ist.“
„Ihre Direktheit ist erfrischend, Mr. Archer“, sagte sie lachend. „Würde es Sie kränken, sollte ich wirklich etwas fragen?“
Wenn ihre Augen ihn so anzwinkerten und die Farbe von edlem Brandy annahmen, konnte sie ihn alles fragen. Er räusperte sich. „Nicht im Geringsten.“
„Wie ist er eigentlich? Ich meine nicht seine politischen Ansichten, sondern seine
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