Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
deinen Gegner wüsstest und seine Motive verstündest, könntest du eine Strategie planen, die dir den Erfolg bringen wird, den du brauchst.“
Anna vermutete, dass Nathaniel seiner Schwester von der wahren Identität Goodfellows erzählt hatte, ließ es aber jetzt erst einmal dabei bewenden. „Du hast vielleicht recht, Clarinda. Obwohl Goodfellows Artikel schon übermorgen fällig ist, könnte Nathaniel noch einbauen, was immer wir zu unserem Vorteil entdecken.“
„Siehst du? Und ich kann dir dabei helfen.“
Anna wollte aufstehen, doch ihre Freundin hielt sie fest.
„Er bildet sich ein, in dich verliebt zu sein, weißt du?“, sagte sie leise, obwohl sie beide allein in Clarindas Zimmer waren.
„Mr. Archer?“ Anna stockte der Atem bei der Vorstellung.
„Nathaniel, albernes Mädchen! Mein Bruder ist seit Jahren in dich verliebt.“ Clarinda lachte. „Aber er ist nicht der Richtige für dich.“
„Clarinda“, sagte auch Anna flüsternd und errötete darüber, dass sie sekundenlang geglaubt hatte, Mr. Archer könne etwas für sie empfinden. „Nathaniel und ich haben eine Vereinbarung, was das angeht.“
„Das ist ja das Problem, meine liebe Anna. Was wir mit den Männern vereinbaren und was sie glauben, mit uns vereinbart zu haben, sind meist zwei völlig verschiedene Dinge.“ Anna musste lachen. „Ich wünsche mir nichts mehr, als dich zur Schwägerin zu bekommen, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass eine Frau mehrere Verehrer kennenlernen muss, bevor sie sich für einen entscheiden kann.“
Anna schüttelte nur den Kopf. Wie konnte ihre sonst so kluge Freundin sich so täuschen über ihr Verhältnis zu Mr. Archer? Er war kein Verehrer und würde auch nie einer werden.
„Morgen Abend also kommst du zum Dinner zu uns. Nathaniel hat versprochen, schon mittags hier zu sein, also könnten wir uns schon früh zu Tisch begeben und danach vielleicht ein wenig Musik machen.“
„Clarinda, du lässt dich von deiner Fantasie mitreißen. Wir wissen außerdem gar nicht, ob er die Einladung annehmen wird.“
„Du bist es, liebe Anna, die die Wahrheit nicht sehen will. Der arme Mann ist heute wahrscheinlich vor den Gefühlen geflohen, die er für dich zu entwickeln beginnt. Nun müssen wir nur noch herausfinden, ob er wirklich davongelaufen ist und wie wir ihn dazu bringen können, zu dir zurückzulaufen.“
Anna stieß einen resignierten Seufzer aus. Sie wusste nur, dass sie bis tief in die Nacht hinein würde arbeiten müssen, wollte sie ihren Artikel rechtzeitig fertigbekommen. Nachdem Mr. Archer heute gegangen war – mitten im heftigsten Regen, der unmögliche Mann –, hatte sie kaum einen Satz zu Ende schreiben können. Und wenn sie jetzt auch noch auf neuere Einblicke bezüglich des Earls von ihm warten sollte, würde es sehr knapp werden. Trotzdem war Clarindas Idee nicht schlecht. Anna erhob sich und ging zur Tür, wohlweislich das Thema wechselnd. „Soll ich Tante Euphemia einladen?“
Clarinda überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. „Nein. Ich habe eine insgesamt jüngere Gesellschaft im Sinn.“
„Bitte mach dir nicht so große Mühe, Clarinda.“
„Nathaniel gibt viel zu wenige Gesellschaften, also muss ich das für ihn übernehmen, solange ich hier bin. Außerdem tue ich nichts lieber, das weißt du doch.“
„Falls du Hilfe brauchen solltest, sag es mir bitte.“
„Mach dir keine Gedanken. Ich habe alles im Griff, Anna.“
Doch gerade das war es, was Anna während des restlichen Tages Sorge machte. Und in der Nacht warf sie sich schlaflos hin und her, während sie über den besten Ansatz für ihren Artikel nachdachte. Ein Mann würde auf die Beleidigung eingehen. Zorn, wenn auch gezügelter Zorn, wäre der richtige Ansatz. Sie musste auf die Beleidigungen Seiner Lordschaft antworten, aber ohne den Kampf mit weiteren auf die Spitze zu treiben. So musste sie ungefähr vorgehen, es sei denn, Mr. Archer enthüllte bei ihrem Gespräch morgen Abend etwas Interessantes.
13. KAPITEL
„Ich habe doch gesagt, er kommt!“, flüsterte Clarinda triumphierend, als der Diener Mr. Archers Ankunft verkündete.
Anna konnte nicht mehr antworten, da Mr. Archer direkt auf die Gastgeberin und den Gastgeber des Abends zukam. Er trug einen schwarzen Gehrock und Pantalons, dazu eine dunkelrosa Weste, und sah ungemein elegant aus. Interessanterweise passte seine Garderobe farblich genau zu der schwarz und blassrosa gemusterten Seidenrobe, die Anna trug. Sie konnte nicht
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