Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
entschuldigen, und sie nickte nur. Als neue Speisen gebracht wurden, lehnte sie sich zurück – dem Duft nach zu schließen, musste es sich um gefüllten Lachs halten. Aber obwohl sie davon probierte, konnte sie später nicht sagen, wie es ihr geschmeckt hatte.
Mr. Archer wandte sich an Mrs. Robertson zu seiner Linken und wechselte mit ihr ein paar Worte, doch dann bedachte er Anna wieder mit einem Blick, der sie alles um sich herum vergessen ließ.
„Allerdings entschuldige ich mich nicht für den Kuss, den ich Ihnen gab, Miss Fairchild“, sagte er leise. „Und ich kann nicht versprechen, dass ich es nicht wieder tun werde, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt.“
„Oh, du meine Güte!“, entfuhr es ihr, und fast alle wandten sich ihr zu. Anna wünschte nur, sie könnte im Erdboden versinken. Sie räusperte sich mühsam und hob ihr Glas. „Ich denke, der Apfelwein ist heute ein wenig zu stark für meinen Geschmack.“
Ein Diener nahm ihr das Glas ab, brachte ein neues und dazu eine Karaffe Limonade. Nach einem Schluck wagte sie es wieder, in Mr. Archers Richtung zu sehen.
Er wich ihrem Blick nicht aus, und in diesem kurzen Moment sah Anna nur ihn, hörte nur sein Versprechen und fühlte nur die Sehnsucht nach seinem Kuss. Noch nie hatte sie so etwas für einen Mann empfunden – den Drang, ihm nahe zu sein, das Kribbeln am ganzen Körper, nur weil er sie ansah, und das Erschauern bei der Vorstellung, wieder von ihm in die Arme genommen zu werden. Wenn sie ehrlich war, hoffte sie, dass es bald geschehen würde. Denn sowie sie erst einmal den Artikel veröffentlicht hatte, würde sich alles zwischen ihnen ändern.
Ein Räuspern brachte sie in die Wirklichkeit zurück. Anna nahm mühsam den Blick von ihm und schaute Clarinda an, die sie offenbar vor etwas warnen wollte. Gleich darauf erhob Lord MacLerie die Stimme, sodass jeder am Tisch ihn hören konnte.
„Mr. Archer, wie man mir sagt, arbeiten Sie für Lord Treybourne.“
„Das stimmt“, antwortete er ruhig.
„Das Einzige, was wir über Seine Lordschaft wissen, sind die Ansichten, die er in der ‚Whiteleaf’s Review‘ darlegt. Sicher zeichnet sich der Mann nicht nur durch Zorn und Unverschämtheit aus?“
Lieber Gott! Hatten Clarinda und Nathaniel ihn zu so etwas angestachelt? Anna gab sich Mühe, ruhig zu bleiben und jede wichtige Einzelheit aufzugreifen, die Mr. Archer über Lord Treybourne enthüllen mochte.
„Ich halte ihn für einen gerechten Arbeitgeber, Lord MacLerie. Und obwohl er es vorzieht, jenen Institutionen seine Loyalität zu schenken, die das Königreich Seiner Majestät mächtig gemacht haben, ist er sich dennoch der Probleme bewusst, die es gefährden.“
„Er besitzt hier in Schottland Ländereien, kommt aber niemals her?“, fragte jetzt Mr. Campbell.
„Soviel ich weiß, gibt es einen Jagdsitz und einige Häuser in Edinburgh. Seine Lordschaft verwaltet mehrere große Güter für seine Familie und findet nicht immer Zeit, jedem einzelnen davon einen Besuch abzustatten.“ Mr. Archer sah Lord MacLerie direkt an. „Sie besitzen ungefähr die gleiche Anzahl von Gütern, Sir, finden Sie da oft Zeit, nach London zu kommen?“
„Ich habe schon verstanden, was Sie sagen wollen, Sir, doch selbst Sie müssen zugeben, dass seine Position ungefähr die Meinung der Tory-Partei widergibt.“
„Wie Mr. Goodfellows Position die der Whigs.“
Anna hörte dem Gespräch aufmerksam zu. Mr. Archer legte die Ansichten Lord Treybournes offen und klar dar, und wenn sie wollte, konnte sie – oder vielmehr Goodfellow – jeden einzelnen Punkt nehmen und in ihrem Artikel zerreißen. Eigentlich wünschte sie sich nichts lieber als das, doch ihr war bewusst, dass sie den Mann an ihrer Seite ausnutzen musste, um dieses Ziel zu erreichen.
Entschlossen sah sie Clarinda an und schüttelte kaum merklich den Kopf. Es war unehrenhaft, auf diese Weise vorzugehen. Lieber wollte sie Seine Lordschaft offen bekämpfen, als auf diese hinterhältige Art zu gewinnen.
Clarinda begriff sofort, was sie ihr sagen wollte, und unterbrach das Gespräch, wie nur die Gastgeberin es konnte.
„Gentlemen, wenn ich vorschlagen dürfte, dass Sie sich im Salon zu uns gesellen, sobald Sie Ihren Port getrunken haben?“
Sie erhob sich, und ihre Gäste taten es ihr nach. Die Männer warteten, bis die Damen sich zurückgezogen hatten, setzten sich dann wieder und ließen sich ihren Wein einschenken.
„Meine Frau war nicht glücklich über die Art, wie wir Sie
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