Süße Rache: Roman (German Edition)
gab, musste es auch einen anderen Ort geben, ein anderes Wann und Wo. Falls man durch den Tod wahrhaftig an jenen anderen Ort überging, folgte daraus, dass es sehr wohl entscheidend war, wie man sein Leben führte.
Gut, schlecht – die Begriffe hatten ihm nie viel bedeutet. Er war, wer er war, und er tat, was er tat. Gewöhnliche Menschen brauchten ihn nicht zu fürchten. Er wollte
nichts von ihnen, er sah auch nicht auf sie herab; im Gegenteil, bisweilen waren ihm seine Mitbürger auf unbestimmte Weise sympathisch, weil sie, was auch geschah, standhaft ihr Leben weiterführten. Sie arbeiteten, sie fuhren nach Hause, sie aßen, sie schauten fern, gingen schlafen, standen auf und fuhren wieder zur Arbeit. Armeen von Menschen gingen Tag für Tag dieser Routine nach, und die Routine hielt die Welt am Laufen.
Umso mehr verachtete er diejenigen, die unter den gewöhnlichen Menschen ihre Opfer suchten. Sie fanden es okay, die Menschen um die Früchte ihrer Arbeit zu bringen, sie glaubten, dass nur Narren und Idioten ihr Geld im Schweiß ihres Angesichts verdienten. Insgeheim fand er es in Ordnung, diesen Abschaum abzuschöpfen.
Doch wenn er es ganz nüchtern betrachtete, war sein Leben viel schlimmer als ihres – nicht in materieller Hinsicht, sondern weil seine Seele eine unwirtliche Wüste war.
Ihn erwartete ein tiefschwarzer Abgrund unter seinen Füßen, denn nichts anderes hatte er verdient, und doch hatte er jetzt eine Chance bekommen, sein Leben zu ändern. Dank Drea sah er Dinge, für die er bis dahin blind gewesen war, ihretwegen akzeptierte er, dass es mehr gab, als das Auge sah. Gab es wirklich einen Gott? Ging es hierbei vielleicht darum?
Durch Drea erkannte er, dass der Tod Arm in Arm mit ihm über die Welt wandelte. Er wusste genau, was ihn erwartete, wenn er so weitermachte. Aber würde sich letzten Endes wirklich etwas ändern, wenn er sich selbst zur Rechenschaft zog, wenn er sein Leben umkrempelte?
Es hörte sich simpel an, aber das Konzept stand für eine Flut von Veränderungen.
Ein beißender, ungehemmter Schmerz erfüllte ihn, und
seine Kehle schloss sich unter einem Schluchzen, das wie das hilflose, leidende Japsen eines verwundeten Tieres klang.
Eine Seitentür zu dem kleinen Raum ging auf. Simon hatte sie übersehen, ein unglaublicher Leichtsinnsfehler, denn eine solche Unaufmerksamkeit konnte tödliche Folgen haben.
»Ich möchte mich nicht aufdrängen«, hörte er eine leise Männerstimme, »aber ich habe gehört -«
Er hatte das erstickte, qualvolle Aufstöhnen gehört. Simon sah ihn nicht an.
»Wenn Sie darüber sprechen möchten …«, setzte der Mann noch einmal an, als Simon nicht reagierte.
Simon erhob sich mühsam. Er fühlte sich so ausgelaugt, als hätte er seit Tagen nicht mehr geschlafen, so zerschlagen, als wäre er von einer Klippe gestürzt. Er drehte sich um und sah den kleinen Mann mittleren Alters an, der einen ganz gewöhnlichen Anzug trug, keine Soutane und keinen weißen Priesterkragen. Rein körperlich war der leicht gebückt gehende und fast kahle Mann wenig einschüchternd, und doch strahlte er eine Energie aus, die Simon verriet, dass er ganz bestimmt kein unbedeutender Mensch war.
»Ich danke nur für ein Wunder«, sagte er schlicht und wischte sich die Tränen aus den Augen.
22
Sieben Monate später
»Andie, Bestellung ist fertig!«
Andrea Pearson warf einen kurzen Blick über die Schulter auf die Durchreiche aus der Küche, wo Glenn das schulterhohe Bord mit Tellern voller Hamburger und dampfender Pommes frites belud, und stellte dann die restlichen schwer beladenen Teller von dem Tablett in ihrer Hand auf den Tisch. Glenn, Besitzer und Koch von Glenn’s Truck Stop, schaufelte in rasendem Tempo das Essen auf die Teller. Es war Freitagabend, die Trucker waren auf dem Heimweg, und die Hütte war voll. Die Arbeit war aufreibend, aber die Trinkgelder waren gut, und Glenn zahlte schwarz, was noch besser war.
»Ich komme gleich mit frischem Kaffee«, sagte sie zu den drei Truckern am Tisch, dann eilte sie los, um die zubereiteten Bestellungen zu servieren, solange das Essen noch heiß war. Nachdem sie alles an die richtigen Tische gebracht hatte, lud sie die Kaffeekanne und die Teekaraffe auf ihr Tablett und füllte rundum die Tassen und Gläser auf. Die anderen Bedienungen schufteten genauso schwer wie sie und balancierten hüftschwenkend die beladenen Tabletts durch das Labyrinth von Tischen und Stühlen.
»Hey, Andie«, rief ihr eine Truckerin
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