Süße Teilchen: Roman (German Edition)
kaum was gegessen.« Ich helfe ihr in die Dusche.
»Es tut mir so leid«, entschuldigt sie sich.
»Du musst dich nicht entschuldigen. So einen Kurs muss man nach der Fitness der Teilnehmer ausrichten. Das, was hier abläuft, ist falsch.«
Ich rufe Big Tony an und bitte darum, dass jemand kommt, um bei uns sauber zu machen. Wie sich herausstellt, kommt die Putzfrau nur morgens. »Du hast Mary schikaniert«, beschwere ich mich. »Ach was«, entgegnet er. »Wenn ein System angekurbelt wird, ist so etwas ganz natürlich. Morgen früh geht es ihr wieder besser.« Mary und ich verbringen die Nacht im Aufenthaltsraum auf zwei ungemütlichen alten Sofas.
Zweiter Tag im Trainingslager. Bildung von Zweiergruppen.
Mary war so dehydriert, dass sie ins nächste Krankenhaus gebracht werden musste. Big Tony behauptet, dieser »Zwischenfall« habe nicht das Geringste mit ihrem Training oder dem wenigen Essen zu tun, ihr sei in der Sonne lediglich zu warm geworden. Ich hoffe, dass man mir ihre Schokoladenration überlässt.
»Also aufgepasst, Mädels«, wendet sich Big Tony an die Gruppe. »Dehydrierung ist ein sehr ernstes Problem. Deshalb seht zu, dass eure Wasserflaschen gefüllt bleiben. Und merkt euch: Trockener Gaumen, Kopfschmerzen, dunkler Urin und die Unfähigkeit zu weinen, sind Anzeichen für Dehydrierung.«
Die Unfähigkeit zu weinen? Eigentlich nicht schlecht.
Jetzt sind wir nur noch vier, was die Gruppenbildung leichter macht. Vor jeder Übung brüllt Big Tony: »Zweiergruppen!« Auf dieses Kommando rennen wir los und stellen uns zu zweit vor ihm auf, als wären wir Hunde in der langweiligsten Schau der Welt.
Heute sollen wir um halb sieben morgens antreten, aber Sephonie, im Jogginganzug von D&G , kommt zu spät. Zur Strafe müssen wir zwanzig Liegestütze machen, denn wir sind ein Team. Wenn einer Mist baut, müssen alle büßen.
Als Nächstes machen wir eine Stunde lang Ausdauertraining. Danach schleppen wir uns den nächsten großen Hügel hoch, anschließend spielen wir Korbball.
Ich war schon in der Schule unsportlich. Wenn Ballspiele auf dem Programm standen, übertrafen Gaby Adler und ich uns gegenseitig mit ekligen Ausreden. Damals waren wir vierzehn. Unser Sportlehrer war Mr Harcourt, der später als Pädophiler angeklagt und verurteilt wurde. Gaby und ich erzählten ihm von »Frauenleiden«, »vaginalem Juckreiz« und »starkem Ausfluss«. Als Gaby mit einer »ausgewachsenen vaginalen Zyste« kam, gab Mr Harcourt sich geschlagen und befreite uns vom Sportunterricht. Danach verbrachten wir den Mittwochnachmittag bei McDonalds und pafften Zigaretten. Das waren noch Zeiten.
Aber diesmal komme ich nach zehn Minuten Korbball richtig in Fahrt und stelle fest, dass mir Mannschaftsspiele Spaß machen. Man muss ein bisschen mitdenken und seinen Rhythmus finden, und schon vergisst man, dass es eigentlich eine Fitnessübung ist. Hildegunn und ich spielen gegen die beiden anderen und machen unsere Sache ziemlich gut. Go-Go wirft Sephonie den Ball zu. Ich springe hoch, um ihn abzufangen, Sephonie stößt mich zu Boden.
Ich rappele mich wieder auf und versuche, darüber zu lachen. Aber ich bin auf Kies gefallen und mein linkes Knie schwillt pochend an, mein rechtes hat Schürfwunden.
»Du darfst eine Runde aussetzen«, bietet Grant mir großmütig an. Kommt nicht in Frage, für mein Geld möchte ich gefälligst auch etwas bekommen und fürs Aussetzen gibt es keinen Rabatt, also spiele ich weiter.
Nach dem Spiel gehen wir zu einem Vortrag über »Ernährung«. Den Vortrag hält Diane, eine Neunzehnjährige, die ihr Diplom vermutlich auf dem Flohmarkt gekauft hat.
Sie beginnt mit der Frage: »Wer von Ihnen weiß, wie viele Kalorien hundert Gramm Hühnchen haben?«
»Mit Haut und gebraten hunderteinundsiebzig«, kommt es von Go-Go. »Ohne Haut und gegrillt sind es hundertsechzehn.«
Diane kann einpacken, Go-Go spielt in einer ganz anderen Liga.
»Wow«, sagt sie. »Sie kennen sich aber aus. Toll, ganz toll.«
Toll? Ich finde es eher tragisch. Hier sitzen vier Frauen, die wahrscheinlich nicht dumm sind und gute Jobs haben. Aber alle haben sich einreden lassen, dass sie Kalorien zählen müssen. Dabei fällt mir meine erste Chefin wieder ein. Sie trug Kleidergröße achtunddreißig, war zweiundfünfzig Jahre alt und mit dem CFO einer Bank verheiratet. Die beiden hatten ein großes Haus in Notting Hill, mit eingebauter Doppelgarage und allem, was sonst noch dazugehört. Jeden Freitagnachmittag um vier Uhr
Weitere Kostenlose Bücher