Süße Teilchen: Roman (German Edition)
hat, und dann ist es mir einerlei, ob der Wachmann hereinkommt, und schließlich denke ich gar nichts mehr.
»Nur weil er dir ein Stück Kuchen mitgebracht hat, hast du es mit ihm in der Öffentlichkeit getrieben?«, fragt Pete. »So billig hast du dich verkauft?« Er stellt den dritten doppelten Gin vor mich und legt eine Tüte Chips dazu.
»Glaub mir, dieses Stück Kuchen war nicht billig.« Ich reiße die Chips-Tüte auf. Wäre ich nicht so betrunken, hätte ich Pete von dem Vorfall nichts erzählt.
Ich bin betrunken, weil ich unsicher bin. Seit Montagmorgen, seitdem er meine Wohnung verlassen hat, habe ich nichts von James gehört. Jetzt ist Dienstagabend. In meiner Verzweiflung habe ich Pete in meine Stammkneipe geschleppt, ins Prince Albert . Aber trinken sollte ich besser nichts mehr, denn in der letzten Stunde bin ich auf dem Weg zur Bar zweimal gegen die Holztrennwände gestoßen, die die Nischen voneinander trennen.
Bisher habe ich für mich behalten, dass James und ich den ganzen Sonntag Hand in Hand durch den Regent’s Park spaziert sind und über unsere Vorstellungen von Familie gesprochen haben. Pete würde das langweilig finden, denn wie alle normal denkenden Menschen ist er ausschließlich an Sexgeschichten interessiert.
Ich habe ihm auch nicht erzählt, dass James mich immer anschaut, als könne er nicht fassen, dass es mich gibt. Und dass er unentwegt lächelt. Das Lächeln kann ich nicht richtig deuten, denn das habe ich bei befreundeten Paaren noch nie gesehen, deshalb weiß ich nicht, ob James froh ist, mit mir zusammen zu sein oder ganz allgemein ein fröhlicher Typ ist. So oder so finde ich sein Lächeln immer ansteckend und erwidere es wie von selbst. Nur jetzt lächele ich nicht, im Gegenteil.
»Er hat mir Montag eine SMS geschickt.«
»Und wo ist dann das Problem?«, erkundigt sich Pete, der weder paranoid noch romantisch ist, das muss man fairerweise dazusagen.
»Na, da stand, ›Ich habe die Zeit mit dir genossen‹.«
»Ja und?«
»Na, findest du nicht, dass das komisch klingt? Laura ist der Ansicht, dass er irgendetwas verbirgt.«
»Wie neurotisch Frauen immer sind. Damit sagt er lediglich, dass es ihm gefallen hat, was willst du denn noch?«
»Ich will wissen, wann wir uns wiedersehen. Wir sind jetzt seit zwei Monaten zusammen, da ist das doch nicht normal.«
»Jetzt hör mir mal zu, Sophie, James ist nicht Nick. Nick hatte ja nicht mal einen Job.«
»Weil er Musiker ist.«
»Und deshalb war er arbeitslos und hatte massenhaft Zeit, dir schwülstige E-Mails zu schreiben. James leitet eine Firma, und er ist schon älter. Er hat eben viel zu tun. Weißt du, wie sehr ich es hasse, wenn Frauen mir dauernd SMS schreiben?«
»Ich schreibe James nicht dauernd SMS.« Genau genommen schreibe ich ihm gar keine, denn ich habe keineswegs vor, James so wie Nick zu behandeln, dem ich sogar per SMS mitteilte, welches Sandwich ich gerade aß. Gut, dafür gibt es eine Entschuldigung, zu der Zeit hatte ich noch meinen alten Job und langweilte mich halb zu Tode. Und Nick, der nichts zu tun hatte, es sei denn, er werkelte ein bisschen in unserer Wohnung herum, langweilte sich auch. Zu guter Letzt langweilte einer den anderen, und wir trennten uns.
Natürlich kann auch ich zurückhaltend, gelassen und abwartend sein, aber heute zum Beispiel, sah ich im Bus einen Mann mit einem so langen Schnurrbart, dass sich die Spitzen um die Ohren ringelten, und das hätte ich James gern erzählt. Er hätte es sogar lustig gefunden. Aber eine innere Stimme sagt mir, dass das nicht geht. Und deshalb bin ich unglücklich.
»Ach komm, er ruft schon noch an«, sagt Pete. »Erzähl mir lieber noch von der Sache in dem Glitzerraum.«
Als ich am nächsten Morgen viel zu früh aufwache, habe ich einen Kater. Draußen ist es schon hell. Ich stehe auf und trete ans Fenster. Unten am Kanalufer kann ich die ersten Osterglocken erkennen. Ich überlege, ob ich spazieren gehen soll, am Wasser entlang, vorbei an den bunten Schiffen und den weißen Stuckvillen am Ufer. Doch dann verwerfe ich den Gedanken, krieche wieder unter die Daunendecke und lasse mein Gespräch mit Pete Revue passieren.
Wenn man Pete glaubt, ist an James’ Verhalten nicht das Geringste auszusetzen. Aber mein Instinkt sagt mir, dass daran etwas seltsam ist, nur kann ich es nicht richtig benennen.
Wenn wir zusammen sind, ist James immer sehr aufmerksam.
Nichts entgeht ihm. Wenn ich in der Zeit, in der er auf der Toilette ist, Lippenbalsam
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