Sueße Versuchung
aber mit demselben Ergebnis hätte sie auch eine von Vaters Ritterrüstungen, die in der Halle herumstanden, darum ersuchen können.
»Im Grunde darf ich mich nicht beklagen«, sagte sie zu Rosalind, die ruhig stehen geblieben war, während ihre Herrin das Haus in Augenschein genommen hatte. »Es hätte im Fall einer Ehe mit Phaelas weit schlimmer kommen können.« Schließlich musste sie Tante und Cousine nur einige Monate und nicht ein ganzes Leben lang ertragen.
Ihre dunkelbraune Stute tänzelte und schnaubte, als ihre Herrin sich herabbeugte, um das quietschende Gartentor zu öffnen. Sophie tätschelte ihr den Hals. »Was ist, spürst du schon die Gespenster?«
Sie trieb Rosalind in den kleinen Park hinein. Hinter dem Tor hielt sie an. Henry hatte, als er bemerkte, dass Sophie sich nicht vor Gespenstern zu ängstigen schien, eindringlich vor der Baufälligkeit des Hauses gewarnt. Fürchtete er tatsächlich, das Haus könnte über ihr einstürzen? War dies vielleicht der Grund, weshalb der Schlüssel im ganzen Haushalt nicht auffindbar gewesen war? Nun, dachte sie mit einem schiefen Grinsen, sie hatte schon Erfahrungen mit einem zusammenstürzenden halben Berg gesammelt, da konnte ihr so ein Häuschen keine Furcht einjagen.
Erstaunt bemerkte sie, dass der Weg zum Haus weitaus öfter benutzt wurde, als sie dies bei einem leer stehenden Gebäude angenommen hätte. Henry hatte ihr zwar gesagt, dass er und der Verwalter seiner Mutter öfter einmal herkamen, um nach dem Rechten zu sehen, aber hier fanden sich tiefe Wagenspuren. Der vom letzten Regen noch feuchte Boden wies unzählige Hufabdrücke auf, und links und rechts vom Weg war das hohe Gras niedergetrampelt, als wären hier viele Menschen durchgestapft.
Henrys Gespenster schienen sich wohl recht heimisch zu fühlen.
Sophie lenkte Rosalind um das Haus herum, bis sie wieder vorne angelangt waren.
Ein neuer Zaun und ein Schloss am Tor wären nicht schlecht. Viel konnte im Park nicht mehr zerstört werden, aber wenn man das Haus renovieren ließ, dann sollten auch keine fremden Gespenster mehr eindringen können. Sophie war allerdings der Überzeugung, dass es sich bei diesen Besuchern eher um übermütige Geister handelte.
Tante Elisabeth hatte erst am Vorabend von einigen jungen Leuten aus London erzählt, die viel Unfug in der Stadt angestellt hatten.
»Ich bin sicher, so viel wird gar nicht zu reparieren sein«, erzählte sie Rosalind, die aufmerksam die Ohren spitzte. Sie redete oft mit Rosalind. Wenn sie alleine ausritten, wenn sie sie im Stall besuchte, sie striegelte, und noch viel mehr, seit sie beide in Eastbourne angekommen waren, und Sophie sich unter all den Engländern vereinsamt fühlte.
»Ich glaube ja nicht, dass jemals einer von uns hier wohnen will«, sprach Sophie weiter, »aber wenn Mutter wüsste, wie das Haus aussieht, in dem sie gelebt und wo sie Vater kennengelernt hat, dann wäre sie bestimmt sehr traurig.« Rosalind schnaubte, und Sophie ließ ihren Blick nachdenklich über die Fensterreihen schweifen. Jedenfalls könnte ein genauerer Blick nichts schaden. Vielleicht kam sie doch ins Haus – auch ohne Schlüssel.
Sie schwang kurz entschlossen das in Hosen steckende Bein über Rosalinds Hals, ließ sich aus dem Sattel rutschen und band die Zügel um einen morschen Pfahl – weit genug vom Haus entfernt, falls doch Dachziegel herabfallen sollten. Sie presste sekundenlang das Gesicht auf den warmen, kräftigen Pferdehals und ging dann mit energischen Schritten auf das Haus zu. Rosalind zerrte am Zügel und wollte ihr nachlaufen.
»Bleib dort. Ich komme ja gleich. Ich schaue nur, ob es noch andere Eingänge gibt, oder ob eine Hintertür offensteht, ein Fenster vielleicht nicht verschlossen ist, oder eine Kellertreppe, durch die man ins Haus kann. Du weißt ja, Vater sagt immer, einen entschlossenen Schotten hält nichts auf!«
Sie stieg die wenigen Stufen zur Haustür hinauf, rüttelte daran. Fest verschlossen. Sie sprang leichtfüßig wieder hinunter und nahm den Weg links an der Hausmauer entlang zur Westseite des Gebäudes. Die Fenster im Erdgeschoss waren alle von innen verriegelt. Hier konnte man nicht ins Haus gelangen. Sophie ging weiter, bog um die Ecke und schritt abermals an der Hausmauer entlang. Sie hatte immer wieder versucht, durch die Kellerfenster zu spähen, aber es war drinnen so dunkel, dass kaum etwas zu erkennen war. Zudem waren die Scheiben halb blind vor Schmutz.
Das Haus war tatsächlich recht groß. Sie
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