Sueße Versuchung
den Felsen geschlagene Stufen, aber diese waren rutschig, da es in der Nacht geregnet hatte. Zum Glück wurde es zunehmend heller, so dass sie sehen konnten, wohin sie traten, und sich den Weg nicht mühsam ertasten mussten. Edward schob sie vor sich her. Als sie jedoch fast oben angekommen waren, hielt er sie zurück.
»Lass mich zuerst hinauf. Ich möchte mich davon überzeugen, dass es sicher ist.«
Sophie wollte widersprechen. Wenn es da oben nicht sicher war, dann wollte sie nicht gerade Edward gefährdet wissen. Die Vorstellung, jemand könnte auf ihn schießen, und er, so wie dieser Mann, fünfzig oder gar mehr Meter die Felsen hinunterstürzen und sie alleine lassen, ließ ihre Hände zittern. Als Edward jedoch nur den Kopf schüttelte, als sie ihren Mund aufmachte, gab sie nach. Inzwischen hatte sie ihren Mann von einer Seite kennengelernt, die ihr sagte, dass er mit vielem, wenn nicht mit allem, was da oben auf sie wartete, fertig werden konnte.
»Du wartest, bis ich dir ein Zeichen gebe, verstanden?«
Sophie nickte.
Edward kletterte weiter. Er schob vorsichtig seinen Kopf über den Rand der Klippe.
Es schien niemand dort oben auf ihn zu warten, denn er stieg weiter, kletterte über den leichten Vorsprung und war dann verschwunden.
Sophie wartete, lauschte angestrengt, um ja kein Geräusch zu versäumen. Aber es war ein sinnloses Unterfangen, denn die Kanonen auf den kämpfenden Schiffen machten solchen Lärm, dass Sophie nicht einmal ihren eigenen Atem hören konnte.
Die Sloop hatte an Geschwindigkeit gewonnen, vielleicht konnte sie sich retten.
Plötzlich – in einer kurzen Pause, in der keines der Schiffe feuerte – hörte sie von oben einen Schrei. Etwas fiel von oben herab. Sophie wich entsetzt aus. Aber der Körper, der neben ihr auf den Stufen aufkam, dabei etliches Gestein mitriss und dann weiterrutschte, gehörte nicht Edward. Darüber brach ein Stück Felsen ab und kam ebenfalls ins Rutschen. Sophie kletterte eilends seitwärts, klammerte sich an einigen Wurzeln und Grasbüscheln auf einem Vorsprung fest. Oben hörte sie jetzt Edward mit einem anderen Mann oder gar mehreren Männern kämpfen.
Sie musste sofort hinauf und Edward helfen! Aber die Stufen waren zerstört. Dort konnte sie nicht mehr hinauf, der weiche Kreidefelsen gab nach und bröckelte weiter.
Sie musste versuchen, seitlich hochzuklettern.
Sophie machte jedoch die Feststellung, dass es weitaus schwieriger war, als sie gedacht hatte. Sie rutschte, trat auf der Stelle. Und dann brach der Block unter ihr zum Großteil weg, und alles andere um sie herum kam ins Rollen. Sie sah den weißen, ins Meer stürzenden Felsen nach. Wenn sie jetzt fiel, dann war höchstens eine halbe Armlänge zwischen der Wasseroberfläche und den darunterliegenden tödlichen Felsen. Sie würde mit zerschmetterten Gliedern im Wasser treiben. Sie musste hinauf.
Und das schnell. Wieder gab etwas nach. Ein Brocken fiel, sich dabei überschlagend, hinab, dann schlug er im Wasser auf und wurde von der Brandung überspült.
Sophie keuchte, klammerte sich mit letzter Kraft an einige Grasbüschel mit Erde, die noch halbwegs beständig wirkten. Über ihr hatte sich ein Überhang gebildet. Einige längere Gräser hingen herab. Sie zog daran, sie gaben sofort nach, und Sophie kam abermals ins Gleiten. Sie schaffte es, wieder ein wenig hochzuklettern, und dann hing sie, nur einen halben Meter unter dem Rand der Klippe fest und konnte nicht weiter, während Edward oben um sein Leben kämpfte!
Eine heisere Stimme ertönte über ihr. »Halte dich an mir fest!«
Sie sah hoch, erblickte Edward, und im selben Moment gab das die Kalkklippen bedeckende Erdreich endgültig nach, und sie rutschte tiefer. Edward konnte gerade noch ihren Ärmel erwischen, packte ihre Hand und hielt sich mit der anderen irgendwo neben sich im Gras fest.
»Verdammt! Habe ich was von loslassen gesagt?!«
Sophie japste vor Schreck. »Ich habe nicht losgelassen! Der Fels hat nachgegeben.
Halt mich bitte fest, ich finde hier keinen Halt.« Ihre freie Hand irrte auf der Suche nach einem verlässlichen Stück Felsen herum, aber alles, woran sie sich klammern wollte, löste sich.
»Ich lasse dich bestimmt nicht los«, keuchte er. »Und wenn wir bis zum Tag des Jüngsten Gerichts so hängen.«
Seine Hand umschloss ihr Handgelenk so fest und sicher, dass Sophie seinen Worten gerne Glauben schenkte. »Ich habe keinen festen Stand unter den Füßen. Kannst du mich raufziehen?«
»Nein.«
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