Sueße Versuchung
war von seinem Schwung noch weitergerollt und auf dem Bauch liegen geblieben. Sie hob den Kopf und sah zwischen Edwards Beinen hindurch auf einen Mann, der nur einige Schritte vor ihnen stand, eine rauchende Pistole in der Hand, die er nun seelenruhig erneut lud. Jonathan Hendricks. Ihr Blick glitt weiter zu dem Schmuggler. Er lag leblos auf dem Boden, und auf seinem Rücken breitete sich ein dunkler Fleck aus.
Edward beachtete ihn nicht weiter, sondern wandte sich zu Sophie um und zog sie noch weiter vom Abgrund fort auf die sichere Ebene. Dann kniete er sich vor sie hin und packte sie an den Schultern.
»Du gottverlassener Bengel! Hatte ich gesagt loslassen? Festhalten hatte ich gesagt! F e s t h a l t e n ! Fast wärst du dort abgerutscht!«
Zu seiner größten Bestürzung verzog sie den Mund und Tränen traten in ihre Augen.
»Aber Sophie, ich habe es doch nicht böse gemeint.« Er umfasste ihr Gesicht mit den Händen, wischte mit den Daumen die Tränen von den Wangen, und als ihm dies zu wenig war, küsste er sie fort. Schließlich nahm er sie in die Arme, presste sie an sich und streichelte beruhigend ihren Rücken. »Es ist alles gut, mein Bengelchen. Hab keine Sorge, ich schwöre dir, dass dies kein zweites Mal vorkommen wird. Von nun an bleibe ich bei dir, um auf dich aufzupassen. Und wenn du mir noch einmal davonläufst, gibt es nicht zwanzig, sondern fünfzig Hiebe.«
»... bin kein Bengel ...«, schluchzte sie an seiner Schulter. Weitaus schlimmer als dort über dem Abgrund zu hängen, Edwards Hand sicher um ihr Handgelenk, war die Angst um ihn gewesen, als der Mann auf ihn gezielt hatte. Er hätte ihn erschießen können! Oder ihn verletzen und dann über den Abgrund werfen. Sophie wäre ihm nachgesprungen, aber das hätte ihnen beiden wohl nicht viel genutzt.
»Nein, mein Liebling, bist du nicht.« Edward lächelte leicht. Es tat unendlich wohl, sie im Arm zu halten, ihren weichen Körper zu spüren, das Gesicht in ihrem Haar zu vergraben.
»Rührend.«
Sophie schniefte auf, wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und warf Captain Hendricks einen bitteren Blick zu.
Der grinste nur zurück. »Scheint, als würde ich immer gerade rechtzeitig kommen, um dir das Fell zu retten, Edward.«
Ein Wiehern ließ Sophie an ihm vorbeischauen. Hinter ihm standen zwei Männer mit Pferden, und einer davon hielt ein zweites Pferd am Zügel. Eine braune Stute, die nervös tänzelte.
Jonathan deutete mit dem Kopf auf das Tier. »Die ist uns auf dem Weg hierher entgegengelaufen. Sie muss sich losgerissen haben. Es war nicht leicht sie einzufangen, aber da sie mir bekannt vorkam, dachte ich, Sie würden sie vielleicht gerne wiederhaben.«
Und da passierte etwas, das Sophie Harrington, geborene McIntosh, noch bis vor Kurzem als völlig absurd abgetan hätte: Sie entschied, Jonathan Hendricks von nun an in ihr Nachtgebet einzuschließen.
21. KAPITEL
Edward befand sich in seinem Schlafzimmer. Er ruhte in einem Lehnsessel und hatte die Füße auf einem Hocker liegen, der ihm von Sophie fürsorglich hingeschoben worden war. Unter dem verletzten linken Arm lag ein Pölsterchen, und über seine Beine hatte sie eine Decke gebreitet, obwohl es draußen ziemlich warm war, und er zu schwitzen begann.
»Nein«, sagte Sophie sanft, als sie eintrat und Edward die Hand nach ihr ausstreckte.
»Das ist jetzt zu anstrengend.«
»Ich habe lediglich einen Kratzer am Arm«, widersprach Edward. Er fühlte sich tatsächlich schon viel frischer, und die Wunde schmerzte kaum noch. Die Verletzung war nicht schwer gewesen, hatte Edward jedoch viel Blut gekostet, ihn einige Tage geschwächt und ihn fiebrig und müde gemacht. Sie hatten beide, nachdem sie heil zurückgekehrt waren, viel geschlafen, ein bisschen gegessen und dann wieder geschlafen. Sophie war die ganze Zeit bei ihm gewesen, hatte ihn kaum aus den Augen gelassen und sich auch im Schlaf an seinen gesunden Arm gekuschelt.
»Tu, was ich dir sage. Bleibe sitzen und ruhe dich aus«, ermahnte sie ihn. »Und versuche zu schlafen.« Sie küsste ihn auf die Stirn, als wäre er ihr alter Großvater, und nahm ihren Platz auf einem anderen Stuhl ein. Zu Edwards Erheiterung schien seine Frau der Meinung zu sein, ein bedeutsamer Teil guter Krankenpflege bestünde darin, dass sich die Pflegerin mit einer Handarbeit zu dem Kranken setzte. Aus diesem Grund hatte sie irgendwo einen Handarbeitskorb hervorgezaubert, in dem sie eine Stickerei verwahrte, mit der sie sich
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