Sueße Versuchung
Hendricks.«
»Ja, klar«, meinte Smiley, der offenbar Ohren wie ein Luchs hatte. »Bin sein Erster Maat. Und wenn mein Captain mir sagt, ich soll Ihnen und M'lord das Fell retten, dann tu ich's auch. Und jetzt würde ich an Ihrer Stelle machen, dass ich von hier verschwinde.« Er wandte sich um und stapfte davon.
»Edward?«
»Ja, schon gut, mein Liebling.« Er zog Sophie weiter. Und tatsächlich, hinter den Felsen wartete ein Landungsboot mit sechs Männern. Die Seeleute fragten nicht lange, hoben Sophie in das Boot, Edward kletterte hinterher, und dann schoben zwei das Boot ins Wasser, und bald darauf legten sich alle sechs in die Riemen, während Edward die Arme um seine Frau legte und das Gesicht in ihrem Haar vergrub.
* * *
Jonathan hatte Wort gehalten. Der Captain brachte Sophie und Edward nicht nur Richtung Eastbourne, sondern überließ ihnen für die Dauer der kurzen Reise sogar seine Kajüte. Sophie erhielt zur Stärkung kalten Braten und Schiffszwieback sowie eine Tasse Tee, und Edward ein Gebräu, das die Männer Grog nannten. Als Sophie neugierig davon kostete, verzog sie zuerst den Mund, nahm dann aber noch einen Schluck und noch einen, bis Edward ihr den Becher wegnahm.
»Sophie, du machst mir wirklich Sorgen. Trinken alle Schotten so viel wie du?«
»Nur, wenn sie kurz davor dem Totengräber von der Schippe gesprungen sind«, grinste Sophie und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Sie hatte sich, gleich nachdem sie sich zurückgezogen hatten, um Edwards Verletzung gekümmert, hatte die relativ tiefe Wunde ausgewaschen, ihm sauberes Leinen darum gebunden, und sich erst dann dem Braten und zuletzt dem Grog hingegeben.
Das Schiff besaß am Heck mehrere Fenster, und Sophie nahm auf einer Kiste Platz und sah hinaus. Edward hatte ihr erzählt, dass Kriegsschiffe erwartet wurden, die den Piraten, die mit den Schmugglern zusammenarbeiteten, auflauerten. Und während seiner Erzählung hatte Sophie begriffen, dass Jonathan Hendricks kein echter Schmuggler, sondern im Geheimauftrag für die Königliche Marine tätig war. Das hatte Sophie zugleich beruhigt und verärgert. Verärgert deshalb, weil sie ihr alle etwas vorgemacht hatten. Aber damit würde sie sich später beschäftigen. Nun war sie zu müde und zu erleichtert, dass das Schlimmste vorbei und Edward und sie in Sicherheit waren.
Die Sterne verblassten, und am Horizont wurde der Himmel heller. Nicht mehr lange, und es würde dämmern. Sie lehnte sich gegen den Fensterrahmen, blickte auf die Wogen, und ließ sich von der ununterbrochenen Auf- und Abwärtsbewegung des Schiffes einlullen. Aber plötzlich leuchtete das Meer hinter ihnen auf. Es donnerte. Ein Feuerstrahl ging von den dunklen Wellen aus, und dann schlug dicht hinter dem Schiff etwas auf das Wasser. Eine Fontäne spritzte hoch und auf das Fenster, das zum Glück geschlossen war.
Im nächsten Moment war Edward auch schon zwischen Sophie und dem Fenster und drängte sie Richtung Gang. Die Kajüte war so niedrig, dass er leicht gebückt gehen musste.
Sophie sah zum Fenster zurück. »Was war das?!«
»Jemand hat auf uns geschossen.« Er fluchte unterdrückt. »Nur wenige Meter näher und sie hätten das Fenster und dich getroffen.« In der Tür kam ihnen ein Midshipman entgegen. Er war noch blutjung, ein halbes Kind, konnte gerade einmal dreizehn Jahre alt sein.
»Mit den Empfehlungen des Captains, Mylord. Die Lady sollte sich besser auf das Unterdeck, unter die Wasserlinie bemühen. Und falls Sie Lust haben, wieder einmal ein Gefecht zu sehen, so wäre es dem Captain eine Ehre, Sie auf dem Achterdeck begrüßen zu dürfen.«
»Es wird mir ebenfalls eine Ehre sein. Ich begleite nur meine Frau hinunter.«
Sophie stemmte sich gegen Edwards Körper, als er weiterging und sie vor sich herschieben wollte. »Das kommt nicht in Frage«, zischte sie. »Entweder gehe ich mit hinauf oder du gehst mit hinunter!«
»Sophie, benimm dich.«
»Edward, sei ein einziges Mal nur vernünftig!«
»Das bin ich. Was man von dir leider nicht sagen kann. Unterhalb der Wasserlinie bist du sicherer. Also geh schon!«
Der Midshipman machte große Augen. Edward packte Sophie und schleppte sie mit sich den Gang entlang, bis sie zu einer Falltür kamen, die von dem Midshipman offen gehalten wurde. Edward fasste Sophie um die Taille, um sie einfach hinabzulassen. Sie klammerte sich an ihm fest.
»Ich gehe da nicht allein hinunter!«
»Sophie!«
Der Zweite Maat kam die Leiter herunter. »Die
Weitere Kostenlose Bücher