Sueße Versuchung
leicht gewesen, ihn zu überreden, aber da er im Stall schlief, hatte Sophie nicht die Möglichkeit, Rosalind heimlich zu satteln, und deswegen hatte sie einen beträchtlichen Teil ihres Barvermögens in Bestechungsgelder investieren müssen.
Sie sprang in den Sattel, nickte dem Stallburschen zu und ließ Rosalind in flottem Schritt gehen, bis sie am Ende der Silverdale Road angelangt und endlich außerhalb der Stadt waren, wo die Stute bald in einen fröhlichen Galopp fiel. Sie war ein lebhaftes Tier, dabei aber ohne jede Bösartigkeit, was sie bei allem Temperament verlässlich machte. Und ebenso wie Sophie liebte sie diese Ausritte am frühen Morgen, wenn der Tau auf den Wiesen lag und außer Bauern und Handwerkern noch niemand unterwegs war.
Dieses Mal hatten sie beide jedoch ein ganz bestimmtes Ziel. Es war nicht leicht gewesen, sich den Schlüssel zu Marian Manor zu beschaffen. Im Gegenteil, die Suche danach hatte sich sogar sehr irritierend gestaltet, denn Henry hatte ständig Ausflüchte gehabt, warum der Schlüssel unauffindbar war. Es mussten jedoch zwei Schlüssel da sein, die beide bei Tante Elisabeth aufbewahrt wurden, das wusste Sophie aus dem Nachlassbrief ihrer Großmutter. Erst als sie anklingen ließ, dass sie ihrem Vater schreiben würde, fand Tante Elisabeth den zweiten in der untersten Schublade ihres Schreibtisches. Sophie nahm ihn an sich, bevor er ebenfalls »verlegt« werden konnte.
Sie hatte den unbestimmten Verdacht, dass Henry nicht wollte, dass sie das Haus betrat. Offenbar hatte er tatsächlich Angst vor einem Einsturz oder vor Gespenstern.
Zumindest hatte er sie abermals eindringlich vor dem Geist eines gehenkten Schmugglers gewarnt, der im Haus sein Unwesen treiben sollte. Sophie lachte übermütig darüber, als sie Rosalind die Zügel freigab, und diese die herrlich grüne Wiese hinauf galoppierte, die zu den Klippen führte. Sie war glücklich. So wohl gefühlt hatte sie sich bisher noch keinen einzigen Tag seit ihrer Ankunft. Sie wusste, dass dies Lord Edward zu verdanken war.
»Vielleicht wird es Zeit, meine schlechte Meinung über ihn zu revidieren«, sagte sie zu Rosalind, als sie die Steigung hinter sich gebracht hatten, und sie das Pferd langsamer gehen ließ. Er war vielleicht ein Wüstling, aber einer mit Herz und mit Mitgefühl. Ihre Mutter hatte ihr immer gesagt, dass dies, zusammen mit zumindest grundlegendem Verstand und einer gehörigen Portion Humor, jene Eigenschaften waren, die man bei einem guten Mann suchen sollte. Ihr Vater besaß sie in großem Maße, und ihre Brüder und ihr Freund Patrick schlugen ebenfalls in diese Richtung.
Rosalind legte von selbst wieder etwas Tempo zu. Sophie war froh über den Herrensattel und die Hose. Ihr Vater und ihre Brüder waren immer im Herrensitz mit ihr ausgeritten. Schon als kleines Kind, das kaum hatte laufen können, hatte Vater sie vor sich in den Sattel gesetzt und war mit ihr über die Wiesen galoppiert. Sie seufzte im Gedanken daran. Es war so wunderbar dort oben. Die Hochlandblumen blühten zu dieser Zeit. Auch hier in Eastbourne war es schön, aber die Vegetation und das Klima waren so ganz anders als weiter nördlich. Hier wuchsen sogar Palmen, was, wie Henry sie hatte wissen lassen, am Golfstrom lag, der das Land an der See erwärmte.
Nun, ihr war es recht. Es war ja ganz hübsch, ein paar Palmen zu sehen, um dann aber wieder zum Heidekraut heimzukehren, zu Wind und Regen.
Andererseits - Regen gab es hier auch. Gerade jetzt fiel ein leichter Schauer vom Himmel. Sophie ließ sich jedoch nicht von ihrem Vorhaben abhalten. Die Jacke war aus festem Stoff, und die Kappe hielt ihr den Regen aus dem Gesicht und schützte ihr Haar. Sie genoss die frische Morgenluft, und bald schon hörte das Nieseln auf und einige vorsichtige Sonnenstrahlen brachen durch die Wolken. Sophie ritt die schmale Straße hinauf, die zu den Downs führte, vorbei an einer Schafherde bis zum Beachy Head, der höchsten Stelle der Klippen. Dann ging es wieder bergab. Nur noch einige Minuten und dann musste sie in einen kleinen Feldweg einbiegen, der sie nach etwa einer halben Meile zu Marian Manor brachte.
Rosalind mochte diesen Weg ebenfalls, auch wenn sie sich an windigen Tagen den Weg über die Graslandschaft erkämpfen musste. Zuerst hatte man viel freies Gebiet, aber dann wurde der Weg zwischen den viele Meter abfallenden Klippen zur Linken und wilden, dichten Ginstersträuchern zur Rechten etwas enger, manchmal gab es nur etwa fünfzig
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