Sueße Versuchung
denn heute früh halb Eastbourne hier ein Stelldichein?
Jonathan Hendricks war zwar nicht gerade Stammgast im Hause ihrer Tante, aber sie hatte ihn vor einigen Tagen kennengelernt, als sie mit Henry in Eastbourne unterwegs gewesen war, um Besorgungen für Tante Elisabeth zu machen. Sie waren dabei auf Captain Hendricks gestoßen, der angeblich außerhalb der Stadt ein Anwesen besaß.
Sophie hatte sich einem sehr charmanten Mann mit braunem Haar und braunen Augen gegenübergesehen, den ihr Henry mit großer Zurückhaltung vorgestellt hatte. Sophie war neugierig geworden, da Jonathan Hendricks eine gewisse Lebhaftigkeit und Abenteuerlust ausstrahlte, die sie an Patrick erinnerte. Aus Henry war jedoch kein weiteres Wort über ihn herauszulocken gewesen.
Hendricks hielt einen seidigen Mantel in der Farbe des Mieders der Frau hoch. »Das habe ich in den Büschen gefunden, meine Liebe. Vielleicht solltest du diesem Gentleman seine Kleidung zurückgeben und deine eigene anziehen.«
Sophie hatte vor Staunen über dieses Zusammentreffen nicht mehr auf die Frau geachtet, die sich jetzt losriss und zu Captain Hendricks hinüberstolperte. Er beugte sich zu ihr hinab und zog sie vor sich in den Sattel. Sophie sah verblüfft und zugleich entrüstet, wie sie sich schamlos mit ihrem nackten Hintern an ihn schmiegte. Sie zerrte Lord Edwards Rock von den Schultern und warf ihn mit einem trotzigen Blick vor dessen Füße auf die Wiese. Captain Hendricks legte ihr den Mantel um und zog ihn bedächtig vor ihrem Körper zusammen.
Sophie verstand nicht, was da vorging, aber ein Gefühl von Verantwortung für diese Frau veranlasste sie, hinüberzulaufen und nach ihrer Hand zu greifen. »Wollen Sie denn überhaupt mit, Madam? Sie könnten mit mir reiten! Ich bringe Sie …«
»He! Bursche!« Captain Hendricks gab Sophie halb ernsthaft, halb lachend, einen Klaps auf die Kappe. »Such dir deine eigenen Weiber! Die gehört mir.«
»Ihr wird nichts geschehen«, mischte sich Lord Edward ein. Seine Stimme klang drohend, als er die beiden musterte.
Hendricks betrachtete Sophie nachdenklich. »Du bist wohl noch nicht lange in der Gegend?«
»Hm. Nein. Bin auch nur zwei Tage da.« Sophie senkte ihre Stimme und deutete vage in irgendeine Richtung. »In Lewes drüben, bei den … äh …«, verflixt, es wollte ihr kein Name einfallen.
»Den Millers«, beendete Lord Edward mit kühler Stimme ihr Gestotter.
»Millers? Etwa Doktor Miller, der Arzt?«
»Nein. Die Millers haben eine Farm. Und jetzt wollen wir euch nicht länger aufhalten.« Lord Edward zog Sophie ein Stück zurück.
Captain Hendricks prüfender Blick glitt über sie. Sophie senkte schnell den Kopf, um ihr Gesicht mit der Kappe zu verdecken und machte sich an ihrer Jacke zu schaffen.
»Aber nur ne ganz kleine«, spielte sie mit. »Bin der Neffe vom Onkel«, fügte sie heiser krächzend hinzu.
»Reitest du öfter hier aus?«
»Nööö. Bloß ganz zufällig.« Sie räusperte sich abermals, um noch ein Stückchen tiefer zu klingen. Es begann ihr Spaß zu machen, auch wenn es dumm war, seine Aufmerksamkeit zu sehr auf sich zu ziehen. Wenn er entdeckte, wer sie wirklich war, ließ er bestimmt demnächst bei Henry eine Bemerkung darüber fallen. Andererseits ließ ihr die Sache mit dieser Frau immer noch keine Ruhe. Lord Edward hatte sie verfolgt, und die Frau war aus Angst davongelaufen, darüber gab es keinen Zweifel!
»Du solltest wirklich nicht allein durch die Gegend reiten, Junge«, riet ihr Captain Hendricks schließlich. »Hier treibt sich manchmal allerlei Gesindel herum.« Wieder dieser prüfende Blick, der sie gar nicht mehr losließ. Sophie begann zu schwitzen. Als sie hinüberblinzelte, sah sie, dass sein Auge auf ihrer Brust ruhte. Sie zog sich die Jacke enger zusammen. Sie war nicht so gut ausgestattet wie diese Frau, aber immer noch busig genug, um die Jacke zu wölben. Wenn er dahinterkam, wer sie war, erzählte er ganz bestimmt Henry davon. Oder sogar Tante Elisabeth! Und deren Reaktion wollte sie sich nicht einmal vorstellen. Ganz zu schweigen davon, dass ihre Ausflüge dann sehr rasch ein trauriges Ende gefunden hätten.
Sie musste etwas tun, um wie ein Bursche zu wirken. Und das schnell. Was würde ihr kleiner Bruder in diesem Fall machen? Ja, genau. Sie räusperte sich, nahm allen Mut zusammen, und dann spuckte sie aus, geradewegs zu Captain Hendricks hinüber. Sie verfehlte nur knapp den Huf seines Pferdes. Eklig, aber männlich. Männlicher ging's schon
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