Sueße Versuchung
los. »Mein Mann ist doch nie daheim, jetzt ist er gar auf der anderen Seite der Welt …«
»Das wusstest du, als du seinen Heiratsantrag angenommen hast.«
Ja, das hatte sie gewusst. Und dennoch hatte sie ihn geheiratet und nicht nur des Reichtums willen, den er ererbt und dann noch zusätzlich mit erfolgreichen Seeabenteuern und Prisen im Auftrag seiner Majestät des Königs erworben hatte. Er hatte ihr gefallen. Man konnte sogar sagen, dass es zwischen ihnen Liebe auf den ersten Blick gewesen war. Wie stattlich er doch ausgesehen hatte in der Uniform mit den goldenen Epauletten. Damals war er noch Captain gewesen, aber bald darauf hatte man ihn zum Admiral befördert.
Anfangs hatte es ihr geschmeichelt, mit einem Seehelden verheiratet zu sein, von den anderen Frauen beneidet und bewundert zu werden, aber dann, als ein Jahr nach dem anderen vergangen war, sie bei den kurzen Landurlauben nicht schwanger geworden war, hatte sich die Begeisterung gelegt. Und dann waren ihr einige Eskapaden ihres Gatten zu Ohren gekommen. Sein Benehmen in Ostindien. Seine karibische Geliebte.
Eine weitere, ernst zu nehmende in England. Sie hatte versucht, es zu verstehen, selbst standhaft zu bleiben, aber dann war sie Jonathans Verführungskünsten gegenüber nachgiebig geworden.
Sie blickte zu Boden.
Edward hockte sich vor sie hin, nahm ihre Hände in seine und sah sie eindringlich an.
»Melinda, bitte, hör auf mich. Lass Jonathan Hendricks.«
»Was willst du tun, wenn ich ihn nicht aufgebe?« Sie suchte in Edwards Augen nach der Antwort.
Er schüttelte den Kopf. »Du weißt genau, dass ich im Grunde nichts tun kann und werde. Ich kann weder gegen Jonathan etwas unternehmen, noch dich zwingen, vernünftig zu sein. Ich kann dich nur bitten, Melinda.« Er sah sie eindringlich an, dann erhob er sich seufzend, wandte sich um und nahm seinen Hut und seine Handschuhe vom Tischchen neben der Tür.
»Du gehst schon?« Melinda erhob sich rasch. »Weshalb bleibst du nicht länger? Ich lasse ein kleines Essen für dich vorbereiten.« Edwards Besuch war ihr unangenehm gewesen, aber nun wollte sie, dass er blieb. Sie war so alleine in London. Die wenigen Familienmitglieder konnte sie nicht leiden, ihre Mutter lebte schon lange in Bath und Williams Familie wich sie aus. Edward war der Einzige, an dem ihr Herz wirklich hing. Jetzt, nach James Tod umso mehr. Aber Edward war davor schon ihr Lieblingsbruder gewesen. Kein Wunder, sie waren gleich alt, sogar in der gleichen Stunde geboren.
»Nein, ich muss wieder zurück. Ich bin nur nach London gekommen, um mit dir zu sprechen und dich zu warnen. Ich mag es nicht, wenn die Polizei meine Schwester in einem Atemzug mit Schmugglern nennt.«
»Aber Jonathan …«, begehrte Melinda auf.
Edward hob die Hand. »Ich weiß, was und wer Jonathan ist. Und das macht mir genauso viel Angst. Wenn nicht noch mehr. Aber«, fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »es gibt noch einen anderen Grund, weshalb ich gekommen bin.« Sein Gesichtsausdruck und sein Tonfall veränderten sich so sehr, dass Melinda ihn verblüfft ansah. »Ich werde demnächst heiraten und wollte dir Gelegenheit geben, mir zu gratulieren.«
Melinda war vollkommen verwirrt. Dieser Themenwechsel war ihr zu schnell gekommen. »Hei … raten? Du?« Jetzt erst fiel ihr der beiläufige Tonfall auf. Sie kannte ihren Bruder gut. Wenn er so betont gleichgültig sprach, dann war dies ein Zeichen dafür, dass ihm das Thema sehr nahe ging. Melinda konnte vor Überraschung nichts hervorbringen. Aber dann fühlte sie einen unsinnigen Schmerz. Edward hatte vor zu heiraten. Eine Fremde, die Melinda den letzten Menschen wegnahm, der ihr noch blieb, wenn sie Jonathan aufgab.
Er räusperte sich, dann sagte er leichthin: »Es kommt auch für mich überraschend.«
Melinda hatte sich gefasst. Sie lief auf Edward zu und griff nach seinen Händen.
»Wer ist sie denn? So sprich doch!« Es gelang ihr sogar zu lachen. »Lass dir doch nicht alles so aus der Nase ziehen!«
»Sie heißt Sophie McIntosh. Sie ist Schottin.« Edward sah drein, als würde das alles erklären. Melinda sah, dass sich seine Stirn gerötet hatte. Seine Augen waren anders als zuvor. Sie wirkten lebendiger, strahlender. »Du wirst dich nicht an die Familie erinnern, aber Mutter tauscht noch so ein- oder zweimal im Jahr Briefe mit Sophies Mutter aus. Sophie ist derzeit bei ihrer Tante in Eastbourne zu Besuch.« Sein Blick wurde zärtlich und Melindas Herz schwerer und zugleich auch
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