Sueße Versuchung
ihn an den Jackenaufschlägen und zog ihn ein wenig zu sich herunter.
Der Mann war doch sonst nicht so schwer von Begriff! »Aber verstehen Sie denn nicht: Wenn er jetzt hört, dass ich bei einer Orgie erwischt wurde, wird er bestimmt nicht dulden, dass ich auch nur einen Tag länger hierbleibe. Und«, schloss sie triumphierend, »somit ist ein Skandal verhindert und das Problem gelöst! Ich werde abreisen und meinem Vater alles beichten!«
Und Phaelas heiraten müssen
, ergänzte sie im Stillen. Aber das war nicht Lord Edwards Problem. Das war ihres.
»Glauben Sie«, unterbrach Lord Edward ihre trüben Gedanken, »dass sich ein Skandal damit vermeiden lässt, indem Sie abreisen? Damit öffnen Sie den Gerüchten nur Tür und Tor. Wenn Sie Eastbourne verlassen, können Sie sich aus der Affäre ziehen, aber Ihre Verwandten und vor allem Lady Elisabeth bleiben den Klatschmäulern ausgeliefert.« Er löste sanft ihre Hände von seiner Jacke. »Und es gibt viele, die sich sehr schnell und gerne an einen ähnlichen Skandal in Ihrer Familie erinnern werden. Das Gedächtnis der Leute ist in diesen Dingen leider nur allzu gut.«
Sophies soeben noch rosige Wangen wurden bleich. Da hatte er recht. Lady Elisabeth würde schon recht geschehen, aber der Gedanke, die Leute könnten auf die Idee kommen, schlecht über ihre Mutter zu sprechen, war schmerzhaft. »Meinen Sie nicht, dass es nicht doch genügen würde, wenn ich einfach verschwinde? Die Leute würden nicht reden, denn immerhin haben Sie ja erklärt, dass wir verlobt sind. Da ist es doch ganz natürlich, wenn ich in Ihrer Begleitung auf Captain Hendricks … äh …
Lustbarkeit war.«
»Es ist nicht natürlich, wenn eine junge Dame, selbst eine, die mit
mir
verlobt ist«, erklärte Lord Edward mit Nachdruck, »sich bei Captain Hendricks Gelage sehen lässt.«
Sophie ließ ihre Hände sinken. Sie hatte Henry helfen wollen und war dabei selbst in eine Falle getappt. Im Grunde war nun alles viel schlimmer als davor. Sie hatte sich sogar Jonathan Hendricks ausgeliefert, anstatt Henry zu befreien. Wie alt war sie eigentlich? Fast zweiundzwanzig. Und benahm sich wie zwölf.
»Sophie?«
Sie sah hoch. Jetzt erst bemerkte sie, wie nahe sie ihm stand. Nein, er war doch nicht so groß, wie sie gedacht hatte. Sie ging ihm bis zur Nase. Sie war also imstande, seine Lippen zu erreichen, wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte, und er ein wenig den Kopf neigte. Der Gedanke ließ sie erschrocken einen Schritt zurücktreten. Solche Überlegungen waren nicht gerade nutzbringend. Dennoch – das Unglück war schon passiert - sie konnte kaum ihren Blick von Lord Edwards Lippen lösen. Ihr schlug das Herz plötzlich bis zum Hals, und ihre Knie begannen zu zittern. Irgendetwas Unvorhergesehenes war in ihrem Magen, so, als würde der Tee, dem sie so reichlich zugesprochen hatte, revoltieren.
Lord Edward bemerkte ihre Verlegenheit zum Glück nicht. »Ihre Abreise wird auch nichts an Henrys Schwierigkeiten ändern«, sprach er ruhig weiter. »Oder meinen Sie, Jonathan Hendricks wird den Vorteil, den Sie ihm in die Hand gespielt haben, nicht zu nutzen wissen?«
Sophie ließ sich auf einen Stuhl fallen und stützte den Kopf in die Hände. »Sie haben leider recht.« Was wurde aus Henry, wenn sie nun einfach abreiste? Lord Edward wusste nur von den Schuldscheinen, aber ihr Vetter steckte ja noch viel tiefer in der Klemme. Er war alleine zu dumm und zu wenig entschlossen, um sich aus den Klauen der Schmuggler zu befreien.
Edward nahm ihren Arm und zog sie hoch. »Kommen Sie jetzt, es wird Zeit, dass wir Lady Elisabeth die erfreuliche Nachricht präsentieren.«
»Oh mein Gott …« Sophie schauderte.
* * *
»Muss das sein?!«, fragte Sophie fünfzehn Minuten später, als ihre Tante mit verkniffenen Lippen und zitternden Händen ein Exemplar der größten Londoner Zeitung in der Hand zerknüllte, in dem die Verlobung zwischen Lord Edward Harrington und Miss Sophie McIntosh bekanntgegeben wurde.
Augusta und Lady Elisabeth hatten Lord Edward erfreut begrüßt. Bis Edward dann Sophie an seine Seite gezogen und von der Verlobung gesprochen hatte. Lady Elisabeth war auf einen Stuhl gesunken und Augusta aufschluchzend hinausgelaufen.
Sophie hatte sich plötzlich daran erinnert, dass sie sich ähnliche Situationen vorgestellt hatte, in denen sie Augusta bei Lord Edward ausstach. Aber die Wirklichkeit bestand nicht aus der erwarteten Genugtuung, sondern aus Verlegenheit, vermischt mit
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