Sueße Versuchung
Oder mit dem hier zuständigen Friedensrichter, Sir Winston, der ihm in London warm empfohlen worden war. Am besten, er suchte ihn gleich jetzt auf.
Edward dagegen zog sich in sein Arbeitszimmer zurück und schrieb eine kurze Nachricht an Sophie. Er bat sie um Verzeihung, dass er sie an diesem Tag nicht besuchen konnte, da verschiedene Dinge zu regeln waren. Aber er versprach ihr, in zwei Tagen pünktlich um elf Uhr bei ihrer Tante zu erscheinen, und beendete den Brief mit der Versicherung seiner Ergebenheit und dem guten Rat, sich in diesen beiden Tagen möglichst unauffällig zu benehmen.
11. KAPITEL
»Du bist wahrhaftig der spießigste Mensch, der mir jemals untergekommen ist!« Lady Melinda saß hoch aufgerichtet auf ihrem zierlichen Stühlchen und klopfte ebenso anmutig wie gereizt mit allen fünf Fingern der linken Hand auf die Armlehne. Ihr Bruder war vor einigen Minuten gekommen, um ihr Vorhaltungen zu machen. Sie hatte etwas Ähnliches schon geahnt, aber der Versuch, sich durch ihren gut geschulten Butler verleugnen zu lassen, war fehlgeschlagen. Edward hatte ihm lediglich einen seiner kalten, durchdringenden Blicke zugeworfen und Perkins war still zur Seite getreten und hatte ihren Bruder ins Haus gelassen. Und nun stand Edward vor ihr und hielt ihr eine Predigt, als wäre er ihr Vater oder gar ihr Gatte!
»Ich kenne jemanden, der dir hierin vermutlich lebhaft widersprechen würde«, erwiderte Edward kühl. »Aber wie auch immer – ich war gewiss nicht zu spießig um zuzuhören, als mir jemand von rauschenden Festen in Sussex erzählte, an denen meine Schwester teilnimmt. Und«, fügte er noch einen Grad kälter hinzu, »ganz bestimmt bin ich nicht langweiliger und spießiger als dein Mann. Ich würde doch zu gerne wissen, wie er diese Nachrichten aufnehmen wird. Und er wird es erfahren. Schlimmstenfalls sogar von diesem Polizisten, der zu mir kam, um mit dir Druck auf mich zu machen!«
Melinda nahm ihren Fächer zur Hand und fächelte sich nervös Luft zu.
»Es sind alles nur dumme Gerüchte!«, begehrte sie auf. »Du bist auf schamlose Übertreibungen hereingefallen, Edward! Das sind keine rauschenden Feste, sondern lediglich kleine, heimelige Zusammenkünfte.«
Edward lachte kurz auf. »Orgien wäre wohl ein adäquateres Wort. Und«, fuhr er mit Nachdruck fort, »ich weiß, wovon ich rede. Ich war dort, um es mir anzusehen.«
Der Fächer vor Melindas Gesicht bewegte sich schneller.
»Außerdem gefällt mir deine Beziehung zu Jonathan Hendricks immer weniger«, fuhr Edward unbarmherzig fort.
»Das hast du mir schon gesagt!« Melinda hasste seine Art, wie er äußerlich gelassen mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor ihr stand.
»Und ich hätte dir noch mehr gesagt, wenn du nicht wie eine Verrückte davongerannt und fast die Klippen hinuntergesprungen wärst!«, fuhr Edward sie an, endlich seine Beherrschung verlierend. »Was ist dir nur dabei eingefallen?!«
Vieles. Aber nichts, was Melinda mit Edward besprechen wollte, obwohl er ihr immer näher gestanden hatte als alle anderen ihrer Familie. »Du hast dich verändert«, sagte sie stattdessen indigniert. »Früher warst du nicht so kleinlich. Wenn ich da an deine Abenteuer denke …«
»Du solltest froh darüber sein. Glaube mir, Melinda, wenn ich dich früher bei solchen Aktivitäten erwischt hätte, wäre Kleinlichkeit eine Eigenschaft gewesen, die Du herbeigesehnt hättest.« Er warf ihr einen drohenden Blick zu.
»Du würdest es nicht wagen …!«
»Das wäre kein Wagnis. Und dein Mann wäre mir noch dankbar dafür.« Er klang so überheblich, dass Melinda am liebsten aufgesprungen wäre, um ihm den Fächer um die Ohren zu schlagen. Sie zuckte zurück, als Edward dicht vor sie hintrat, sie an den Oberarmen packte und sanft schüttelte. Es war aber nur die liebevolle Geste eines besorgten Bruders, deshalb senkte sie den Blick. »Melinda, es geht nicht nur um dein Verhältnis mit Jonathan. Du lässt dich in etwas hineinziehen, das mir nicht gefällt, und ich auch nicht dulden kann. Jonathan Hendricks Geschäfte sind nichts für dich. Es ist zu gefährlich, dich mit ihm abzugeben.«
»Du warst derjenige, der ihn mir damals vorgestellt hat!«
»Weil ich nicht wusste, was sich daraus entwickeln würde. Oder meinst du, ich würde meiner Schwester zweifelhafte Liebhaber zuführen? Melinda, sei vernünftig, denke an deine Ehe und deinen Ruf. Das ist dieses Abenteuer nicht wert.«
»Meine Ehe!« Melinda machte sich aus seinem Griff
Weitere Kostenlose Bücher