Sueße Versuchung
Vorstellung, Augusta könnte mit ihm verheiratet sein, drehte Sophie den Magen um. Lord Edward zeigte zwar keine Anzeichen besonderer Wertschätzung für Augusta – wenn man von diesen offenbar so wichtigen drei Mal absah, die er mit ihr getanzt hatte – aber die beiden Frauen hatten sich an dieser Idee förmlich festgefressen und würden eine Verlobung ausgerechnet mit Sophie nicht besonders wohlwollend aufnehmen. Sophie schauderte, wenn sie daran dachte, wie sie Augusta und Tante Elisabeth danach unter die Augen treten sollte.
Was immer sie überlegte, so blieb ihre Abreise die einzige Lösung. Wenn ihr Vater erfuhr, dass sie mitten in ein ausschweifendes Fest geraten war, dann würde er sogar darauf bestehen, dass sie zurückkam. Aber dann war die Heirat mit Phaelas wohl so gut wie sicher. Die Aussicht, für den Rest ihres Lebens an diesen trockenen, langweiligen Mann gebunden und seinen Kindern, die kaum jünger waren als sie, eine Mutter zu sein, und dann vielleicht noch einige weitere, gemeinsame aufzuziehen, ließ Sophies Kehle eng werden. Sie hatte sich niemals zuvor so intensiv mit dem Gedanken an eine Heirat beschäftigt. Sie hatte immer gewusst, dass sie einmal heiraten und eine Familie haben wollte. Und stets hatte in ihren unklaren Vorstellungen ein Mann dazu gehört, der zu ihr hielt, sie liebte, der ihr treu war, und den auch sie genügend liebte, damit es für den Rest ihres Lebens reichte. In ihrer Vorstellung hatte dieser Mann keine bestimmten Züge gehabt, aber auf gar keinen Fall hatte er Phaelas ähnlich gesehen. Auch nicht dessen kleinen Bruder Patrick. Das war es nicht, was sie sich von ihrem Leben erwartet hatte.
Sie war sich plötzlich bewusst, dass sie die beiden Männer mit Lord Edward verglich.
Lord Edward, der charmante Wüstling, der Mann, der immer dann auftauchte, wenn sie nicht mit ihm rechnete. Auf den Klippen, im Obstgarten, auf einem Ball, im dunklen Wald und zuletzt mitten in einer Orgie, um sie zu retten. Es bedurfte nicht einmal sehr intensiver Gedanken, um sich sein Gesicht in Erinnerung zu rufen. Es schien wie von selbst immer wieder vor ihr aufzutauchen. Auch jetzt war es ganz deutlich wieder da. Die Augen in der Farbe eines schottischen Gewitterhimmels, die Nase, die wohlgeformten Lippen, das kühle Lächeln, und dann jenes charmante Grinsen, das ihr, als sie es zum ersten Mal gesehen hatte, den Atem geraubt hatte.
Seine Hand auf ihrer, sein Arm um ihre Taille. Sein Körper, an ihren gepresst. Seine Lippen. Sie konnte ihn noch spüren. Wenn sie darüber nachdachte, dann war er der einzige Mann auf der Welt, von dem sie so gehalten, dessen Atem sie auf ihrer Haut spüren, und dessen Lippen sie auf ihren fühlen wollte. Wie groß er war! Größer als ihr Vater und gewiss größer als Patrick. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, wenn sie ihn ansehen wollte. Ob sie ihm wohl bis zur Nase ging? Oder nur bis zum Kinn?
Schluss jetzt! Darum ging es nicht. Sophie rief sich energisch zur Ordnung. Sie durfte jetzt nicht darüber nachdenken, wie Lord Edward küsste, das verwirrte sie nur, sondern musste überlegen, wie sie mit dem geringsten Schaden für alle wieder aus diesem Dilemma herauskam.
Als endlich der Morgen des zweiten Tages graute, fühlte sich Sophie wie gerädert.
Aber sie hatte einen Entschluss gefasst. Und nachdem sie ihre verschlafenen Augen mit Wasser gekühlt und einige Tassen Tee hinuntergeschüttet hatte, war sie bereit, die Konsequenzen für ihre unbedachten Handlungen zu tragen.
* * *
Lord Edward erschien pünktlich um elf Uhr. Sophie erwartete ihn schon an der Eingangstür und zerrte ihn ungeachtet der missbilligenden Blicke von Tante Elisabeths Butler in den kleinen Salon.
»Wir müssen uns nicht verloben!«, erklärte sie mit einem zuversichtlichen Lächeln, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Erstaunlicherweise schien Lord Edward ihre Genugtuung nicht zu teilen. »Und weshalb nicht?«
»Weil mein Vater mich doch nur zur Strafe hergeschickt hat!« Sophie sprach hastig.
Wenn der Butler Lord Edward ihrer Tante meldete, war es zu spät – sie musste es schnell hinter sich bringen. Bevor Tante Elisabeth und Augusta hereinstürzten und sie störten.
»Strafweise?« Lord Edward hob die Augenbrauen.
»Ja, weil …«, sie unterbrach sich. Das ging ihn nichts an.
Lord Edward blieb unbeeindruckt. »Verzeihen Sie, Sophie, wahrscheinlich fehlt es mir an ausreichendem Intellekt, aber ich kann keine Lösung erkennen.«
Sophie packte
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