Süßer König Jesus (German Edition)
musst etwas essen. Du hast schon gestern Abend kaum was gegessen.«
Sie schob ihren Teller zu mir rüber, ich kratzte Butter in die Waben und übergoss sie mit Sirup.
Elise war übel wegen des Babys und der Fahrerei, und sie hatte schon immer einen schwachen Magen, wie unser Vater. Sie sei die empfindliche Schwester, erzählte sie mir gern, was nicht stimmte, aber ich wusste inzwischen, wie sinnlos es ist, den Leuten erzählen zu wollen, wie sie sind.
Die Bedienung klemmte die Rechnung zwischen Serviettenhalter und Salzstreuer. Mein Vater nahm sie und las sie, während sein Finger die Liste hinabfuhr, aufmerksam. Auf dem Rücken seiner rechten Hand stand in schwarzer Tinte die Ziffer 3. Jeden Morgen schrubbte er die Hand sauber und schrieb eine neue Zahl drauf, morgen wäre es die 2, dann die 1, dann 0.
Elise nahm ihm die Rechnung aus der Hand und überprüfte sie. »Stimmt alles, Dad«, sagte sie.
Er zahlte bar, zählte die Scheine sorgfältig und hinterließ ein wahrscheinlich mieses Trinkgeld; er schob mich, seine warme Hand auf meinem Rücken, zur Tür. »Mein Mädchen«, sagte er und tätschelte mich. Immer wenn seine Hand meinen Körper berührte, ging sie auf und ab und auf und ab, als hielte er es nicht aus, mich zu berühren.
***
Die Vögel in den Bäumen gaben Töne von sich wie fiepende Hunde. Sie kamen herab, um im frischen Dreck herumzupicken.
»Was sind das für welche?«, fragte ich.
»Weißflügeltauben«, sagte mein Vater.
»Sind das die, die du jagst?«
»Verwandte.«
»Auf jeden Fall ganz schön fett«, sagte ich zu ihm hinauf, dabei streiften meine Augen einen Moment lang die Sonne.
Jeden Herbst jagte er Tauben, brachte sie säckeweise nach Hause, und meine Mutter legte sie in Wishbone- Marinade ein und wickelte sie in Speck, und ich fürchtete mich immer davor, auf ein Schrotkorn zu beißen, aber das passierte nie.
Mein Vater entriegelte den Taurus, und wir stiegen ein.
Er wollte gerade zurücksetzen, da fiel ihm auf, dass der Rückspiegel abgefallen war. Unsere Mutter hob ihn von der Fußmatte auf und reichte ihn kommentarlos weiter. Sie war auf einmal merkwürdig ruhig. Ich wusste nicht, was in ihr vorging. Ich fragte nicht nach. Sie nahm ihre Aufsteck-Sonnengläser aus dem Handschuhfach und putzte sie mit ihrem Shirt, sie waren blau getönt und wurden mit Magneten an der Brille befestigt.
Fluchend versuchte mein Vater den Spiegel wieder anzukleben, deponierte ihn schließlich auf dem Platz zwischen ihnen und legte den Rückwärtsgang ein.
»Kommt was hinten?«, fragte er, als er längst aus dem Parkplatz raus war.
Elise und ich sammelten die Verpackungen und Flaschen auf und gaben sie unserer Mutter nach vorn, wir ordneten die Zeitschriften und platzierten sie auf der Ablage zwischen uns. Elise zog die Tasche mit den Snacks neben ihre Füße. Sie war gefüllt mit allem Möglichen, was wir zu Hause nie kaufen würden: Cheddar&Bacon-Potato-Skins und Erdnussbutter mit Brezelteig ummantelt und Karamell-Würfel, die aussahen wie selbstgemacht, aber wahrscheinlich wie alles andere Industrieprodukte waren. Ich wollte gar nicht hineinschauen in die Tüte, mit Sicherheit war das Karamell geschmolzen, aus seiner Verpackung ausgelaufen und hatte alles in eine Riesensauerei verwandelt. Ich war froh, dass wir diese Snacks dabeihatten – sie fühlten sich an wie ein Schutzschild. Ich konnte mir alle möglichen Situationen ausdenken, in denen sie uns vielleicht das Leben retten würden.
Vor einer roten Ampel ließ unser Vater den Wagen ausrollen, bis er stand. Ich sah eine einbeinige Frau, die den betonierten Mittelstreifen entlanghumpelte. Sie war schlank, eher jung, hatte schulterlanges Haar und ein Schild bei sich, auf dem stand: AUF MEINEM LETZTEN BEIN . Ich schlug Elise auf den Arm. Sie zog eine Zwanzig-Dollar-Note aus ihrer Handtasche. Ich drückte den Schalter an der Tür. Mein Fenster senkte sich bis knapp über der Mitte.
»Was tust du da?«, fragte mein Vater. Er mochte es nicht, wenn jemand das Fenster runterließ. Er drückte den Türverschluss.
»Wir geben der Frau ein bisschen Geld«, sagte Elise.
»Damit kauft sie sich nur Drogen«, sagte er.
»Möglicherweise.«
»Es gibt Hilfsprogramme für die Obdachlosen«, sagte meine Mutter. »Sie müssen nicht den ganzen Tag hier draußen in der Hitze herumstehen und betteln.« Sie sah meinen Vater an, und ich musterte ihr Profil. Sie war eine große, klare Frau, die nichts unternahm, um sich zu perfektionieren. Sie trieb keinen
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