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Süßer König Jesus (German Edition)

Süßer König Jesus (German Edition)

Titel: Süßer König Jesus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Miller
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das jetzt?«, fragte ich.
    »Wir ändern den Kurs«, sagte er. »Hier muss eine drin sein, ich weiß es genau … Na also.« Er gab die Karte unserer Mutter, stemmte den Ellbogen gegen die Rücklehne seines Sitzes und drehte sich zu uns um. »Ich muss mich entschuldigen«, sagte er. »Ich habe euch allen einen Bärendienst erwiesen. Von der Interstate aus kann man unser großartiges Land überhaupt nicht kennenlernen. Da gibt’s nichts zu sehen als Taco Bell und Targets.«
    Elise und ich schauten uns an. Wir hatten nicht das Gefühl, man habe uns einen Bärendienst erwiesen. Wir mochten Taco Bell und Target.
    »Von jetzt an nehmen wir den Highway, und wir essen nur in Lokalen, die sich Restaurant nennen«, sagte er. »Ihr sollt das echte Amerika kennenlernen, bevor es zu spät ist, die Orte, an denen richtige Menschen leben und beten.«
    Und wenn es uns Zeit kostete, wäre es ihm gleichgültig. Zeit würde sowieso bald nicht mehr zählen.
    »Okay«, sagte Elise. »Aber in Drecklöchern mit Drogensüchtigen steige ich auf keinen Fall ab. Ich möchte in Holiday Inns.«
    »In einem Holiday Inn waren wir doch bis jetzt noch gar nicht«, sagte ich.
    »Wo Drogenabhängige sind, gehen wir gar nicht erst rein«, sagte unsere Mutter und nahm die aufgesteckten Sonnengläser ab. Es war ihre Gewohnheit, dass sie, wenn sie nervös war, ihre Brille putzte, so wie unser Vater immer innehielt und die Umgebung musterte oder wie ich, die immer künstlich gähnte.
    »Und in so einen Straßenrandzoo will ich auch nicht«, sagte Elise mit einem Blick auf mich, weil ich in Louisiana gerne ein paar Cajuns beim Krokodilfüttern zugesehen hätte.
    »Und wenn sie Schlangen hätten?«, sagte ich. »Schlangen würdest du doch sehen wollen.«
    »Nein, will ich nicht. Warum sollte ich Schlangen sehen wollen?«
    »Du hast selber mal eine gehabt.«
    »Das war eine winzig kleine Gartenschlange«, sagte sie. »Und ich war gerade mal sieben.«
    »Wir gehen in keinen Zoo«, sagte unser Vater. »Für so was haben wir kein Geld.«
    »Wir könnten ein paar Leute retten!«, sagte ich. »Wetten?«
    »Das ist die Idee! Der Sinn der Sache!«, sagte er. Mir fiel auf einmal unser Cousin ein, und die Blonde an seiner Seite, deren Haarschnitt unsere Mutter mit dem der Turnerin Mary Lou Retton verglich. Diesem Cousin bezahlten wir das Motelzimmer, ich war elf und mein Vater gerade wieder mal arbeitslos, und wir hatten Münzen und kleine Scheine zusammengekratzt.
    Die Frau war mittlerweile tot. Sie war im Zimmer eines anderen Motels in einer anderen Stadt zu Tode geprügelt worden. Ich erinnerte mich noch an den Namen des Motels, weil er so komisch klang – das Admiral Benbow in Jackson, Mississippi. Ich erinnerte mich an sie nur durch die Fotos und die Dia-Shows bei Familientreffen, obwohl meine Mutter behauptete, die Frau habe auf uns aufgepasst, als wir noch klein waren und sie noch zur Schule ging.
    Unser Vater stieg aus und warf drei Quarter in die Druckluftpumpe.
    Elise öffnete ihre Tür. »O mein Gott«, sagte sie. »Hier draußen sind’s bestimmt über 40 Grad.«
    »Im Auto 40«, sagte unsere Mutter. »Und lass das bloß deinen Vater nicht hören.«
    »Ist doch nur eine Redewendung«, sagte Elise.
    »Und du, hast du denn nichts dagegen, wenn wir ›O mein Gott‹ sagen?«, fragte ich, und sie sagte, natürlich, es sei ein Sakrileg.
    Sie nahm ihr Handy aus der Tasche und rief eine ihrer Schwestern an. Welche, konnte ich nicht sagen – sie hatten alle dieselbe Art zu sprechen: langsam und laut und in einem Dialekt, dem wir irgendwie entkommen waren. Unsere Mutter hatte drei Schwestern und einen Bruder, und sie riefen einander ständig an. Sie schwatzten gerne darüber, wer gestorben war und wer Krebs hatte und wem die Scheidung ins Haus stand. Aber meistens wurde der am jeweils anderen Ende der Leitung gerade eben von einem der anderen angerufen und musste auflegen.
    Unser Vater fragte oft, wem sich meine Mutter verpflichtet fühlte – uns oder ihnen. Da er seiner eigenen Familie nicht besonders nahe stand, lag seine Loyalität zweifelsfrei bei uns. Uns war nicht ganz klar, ob er die Familie meiner Mutter nicht mochte, weil sie katholisch war, oder ob er einfach nicht ertragen konnte, dass er ihre Liebe teilen musste.
    Auf meinem T-Shirt entdeckte ich einen Fleck, einen, der nach Guacamole aussah und sich bröckchenweise abkratzen ließ. Die schwarzen Jesus Kehrt Zurück! -T-Shirts waren, wenn es darum ging, Schweiß- und Senf- und Blutflecken zu

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