Süßer König Jesus (German Edition)
obwohl sie schon alt war und Tränensäcke hatte, obwohl ihr Bauch von den vielen Kindern, die sie ihm geboren hatte, völlig schlaff war. Wie gern würde ich mit einem Mann auf einem Bett sitzen, er kämmte mein langes Haar und sagte mir, ich sei schön. Niemand sagte mir das, außer den sehr alten Frauen, die ja generell alle jungen Leute für schön halten.
Nachdem die Motorräder außer Sicht waren, entdeckte ich auf der Straße etwas Großes, Kopfloses, einen breiten Streifen helles Rot, als hätte jemand eine Dose Farbe verschüttet. Am Himmel kreisten Geier, die auf eine Lücke im Verkehr warteten, um endlich herabstoßen zu können. Ihre Schatten auf der Straße: reine Spannweite.
Ich schnippte mir eine Pistazienschale in den Mund. Sie schmeckte noch salzig. Ich nahm noch eine und noch eine und warf sie hinterher.
»Überleg doch mal, mit was die alles schon in Berührung gekommen sind«, sagte Elise.
Und ich erinnerte mich, dass sie, kurz nachdem ich Elises Schwangerschaftstest gesehen hatte, als Häufchen auf der Tagesdecke des Motelbetts gelegen hatten, und spuckte sie mir in die Hand. Eine rosa Linie, und alles ist gut. Zwei rosa Linien, und dein Leben ist vorbei. Meine Schwester war schwanger. Ich vergaß es immer wieder, und wenn es mir dann einfiel, war ich jedes Mal wieder total geschockt. Sie hatte nicht nur Sex gehabt, sie war sogar schwanger geworden. In ein paar Monaten säße möglicherweise ein Kind zwischen uns, Kinderhändchen und Kinderfüßchen, und das Kindermündchen versuchte möglicherweise, sich an unsere Brüste zu hängen.
Unsere Eltern wussten natürlich nichts. Unsere Eltern in ihrer Vergessenheit, sagte Elise, und vielleicht seien sie sogar etwas dumm. Das meinte ich nicht. Ich glaubte an die übersinnlichen Kräfte unserer Mutter.
Elise griff sich die Tüte mit den Snacks und schmiss sie in meine Richtung. Ich knotete sie zu und schloss die Augen. Ich hatte wieder nicht gut geschlafen. Meine Mutter hatte mal gesagt, ich sei keine gute Schläferin, und das hatte mir gefallen – es klang, als gebe es eine Begabung für Schlaf, als sei Schlafen eine Kunst, die ich noch lernen müsste. Ich wachte immer mitten in der Nacht auf, weil ich schlecht geträumt hatte oder pinkeln musste, und lag dann stundenlang wach und grübelte über Dinge nach, die mich tagsüber überhaupt nicht berührten. Zeitweise vergaß ich sogar, dass ich eine schlechte Schläferin war, aber seit wir Montgomery verlassen hatten, dachte ich ständig daran. Vergessen war der Schlüssel zu vielen Dingen, aber ich konnte mich immer an alles erinnern.
»Willkommen in Texas«, sagte unsere Mutter.
»Im großen Staat Texas«, unser Vater.
Elise zeigte mir auf dem Handy ein Foto von einem Wohnmobil. Beschriftet mit: Haben Sie die wundervolle Nachricht gehört? Das Ende der Welt ist zum Greifen nah!
»Und jetzt hör dir das an«, sagte sie. » Nachdem Greta Burrows, eine fettleibige Frau mittleren Alters, sich den ganzen Morgen lang aus dem Fenster gehängt und in ein Megafon geschrien hatte, holte sie sich im örtlichen Rite Aid Visine-Augentropfen und eine Packung Kleenex . Und ich könnte wetten, sie versorgte sich auch gleich noch mit ein paar Tüten Cheetos-Erdnussflips und Schoko-Munchies.«
»Welche Etappe der Tour ist das?«, fragte ich.
»Florida. Greta ist die, die, als sie aus dem Haus ging, die Tür offen ließ – sie schloss nicht nur einfach nicht ab, nein sie ließ sie sperrangelweit offen stehen . Und sie verrät auch nicht, wie viele Kinder sie hat oder ob sie verheiratet ist, denn es gibt für sie nur eins, was zählt: Leute zu warnen.«
»Echt hardcore.«
»Allerdings.«
»Ein Megafon sollte ich euch auch kaufen«, sagte unser Vater.
»Ich würde es sogar benutzen«, sagte Elise. Sie versuchte, das Fenster runterzulassen, aber die Kindersicherung war aktiviert, und so legte sie ihre Hände wie einen Trichter um ihren Mund und rief über die Rückenlehnen hinweg: »Bereut oder sterbt! Die Sonne wird sich blutrot färben! Eure Nachbarn werden in grässlichen Unfällen elendiglich zugrunde gehen!«
»Elise!«, sagte unsere Mutter.
»Unfälle werden das nicht sein«, sagte unser Vater. »Oh nein, Unfälle auf gar keinen Fall.«
***
Unser Vater bog in einen kombinierten Pilot/McDonalds Lkw-Rastplatz ein. Er stellte die Automatik auf P und flippte durch die Landkarten im Seitenfach der Fahrertür. Auf dem Gelände neben der Tankstelle pumpte ein Bohrturm träge vor sich hin.
»Was wird
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