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Süßer König Jesus (German Edition)

Süßer König Jesus (German Edition)

Titel: Süßer König Jesus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Miller
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andere ist die Beleuchtung.
    In zwei jeweils durchscheinenden Kulissen präsentiert sich der hier vorliegende Standbild-Thriller: im Auto, an dem die Scheinwelt vorübergleitet, und in der Welt der Verpackungen, an der die Autos vorbeifahren.
    Auf ihrem Weg ans »Ende der Welt« zum angekündigten Zeitpunkt der Wiederkehr Jesu und der eigenen Entrückung Richtung Paradies hocken die fundamental-christlichen Glieder einer Familie (Vater, Mutter, zwei Töchter) auf der als klassischer Roadmovie inszenierten Strecke von Alabama nach Kalifornien noch einmal so dicht aufeinander, dass es Jessica, der vierzehnjährigen Jüngsten ein Leichtes ist, dem Leser Sein und Schein in ihren innigsten Momenten vorzustellen. So erzählen sich die Figuren, die Beziehungen, das Geflecht aus sich selbst heraus, animiert vom intensiv mit sich selbst beschäftigten Blick einer Pubertierenden.
    Auf dieser Linie zwischen Alpha und Omega scheiden sich die Geister. Das wäre an sich nichts Spektakuläres, wenn es Mary Miller nicht gelänge, der schwankenden Seelenlage ihrer jungen Hauptfigur ein derart sympathisches Selbstverständnis zuzuschreiben, dass es sich förmlich auf jede andere Haupt- und auf so ziemlich jede der Nebenfiguren zu übertragen beginnt. Kurz gesagt: die für diese märchenhafte Geschichte entscheidende Lichtquelle sind die Augen Jessys. Ihre Art »jener Welt« etwas entgegenzusetzen heißt, sich mit allen Mitteln in ihr einzurichten. Dazu leuchtet sie jede sich als Möglichkeit der Sinngebung öffnende Lücke aus. Jedem vor ihren Augen sich auftuenden Verhältnis gewinnt sie eine ihrer Wunschwelt zufließende Energie ab. Und derart entsteht das Gesamtbild einer verkritzelten, sich vernetzenden Welt, einer übermalten Natur, und ausgemalter Leerstellen, in die sie sich unbedingt einbringen muss.
    Jess ist zwar ein durchaus selbstgenügsames, aber keineswegs einsames Mädchen. Immer (und am deutlichsten natürlich während dieser vier zusammengepferchten Tage) wird ihr die gerade mal drei Jahre ältere Schwester voraus sein. Und das wird sie ja ihr beider Leben lang auch bleiben. Und genau diesem Schwestern-Spiegel stellt die Autorin Jessys Art, Informationen zu sammeln und zu verwerten, gegenüber. Und aus ebendiesem lebenslangen Verhältnis und seiner Wirkung auf Jessys Informations-Praktiken erwächst erstens der Hauptfigur und zweitens überdies dem ganzen Roman erst jene Vertrauenswürdigkeit, die Glaubhaftigkeit schafft.
    Jess bleibt, bei allem mehr als neugierigen Interesse und allen diesbezüglichen Verwicklungen während der Reise, die Jagdgier ihrer Schwester fremd. Zuvörderst erkennt sie sich als Sammlerin.
    Natürlich sehe ich in ihr ein jugendliches Selbstbewusstsein, das sich als Stachel im Fleisch der Erwachsenenwelt begreift – und noch oder gerade in ihren angepasstesten Situationen vermag sie diesen Stachel zu aktivieren. Natürlich ist sie ein Teenager mit allem drum und dran. Aber die Grenzen, die sie auch deshalb zu ziehen vermag, weil sie durchaus imstande ist, sie zu übertreten, befähigen sie, von innen her wahrzunehmen. Ihre Informationssammelwut wird von ihrer sich identifizierenden Wahrnehmung aufgefangen.
    Was sich jedoch nicht durch ihre Wahrnehmung kompensieren lässt, ist ihre Erfahrungslosigkeit. Da hilft alles nichts. Das spürt sie. Dieser, als solcher empfundene Mangel an Erfahrung grundiert vom ersten Wort an die ganze Geschichte. Dieses Motiv erhebt diese Geschichte ins Epische und sublimiert ihren Titel »Süßer König Jesus«.
    Während ich las und während ich übersetzte, dachte ich an ein Buch, das ich vor Jahren gelesen hatte: Die Selbstmord-Schwestern von Jeffrey Eugenides. Aus der Entfernung von knapp zehn Jahren, ohne erneut nachzulesen, hängt mir diese Familie nach – diese seltsamen Eltern, die versuchen, ihre rätselhaften Töchter vor allem zu bewahren, und beginnen, sie abzuschotten. Jetzt meine ich, Eugenides habe sich als Erzähler kaum in die Familie hineingewagt, immer erst beim Tod eines Mädchens ist er zur Stelle gewesen. Er erzählt die Geschichte mehr oder weniger von außen: Eine Schwester nach der andern bringt sich um. Mary Miller ist ihren weiblichen Heldinnen nah, näher, als Eugenides den seinen, sie erzählt von innen. Erst Millers Aus-der-Familie- herauserzählen macht Jessys Wahrnehmung der Außenwelt zur Innenwelt – tapeziert mit ihren Sehnsüchten, Konflikten, Freuden, Zerrissenheiten, Einsamkeiten, Eitelkeiten, Vorlieben, Projektionen, Ängsten

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