Sueßer Tod
Ihrem Ruf als Gelehrte und Detektivin«, sagte Veronica Manfred. »Haben Sie schon gegessen?«
»Offen gestanden, nein«, sagte Kate zu ihrer eigenen Überraschung. »Und Sie?«
»Nein. Ich hatte vor, um neun auf Berties Cocktailparty hereinzuschneien und Sie abzupassen. Zweifellos hat man Sie schon vorgewarnt, daß ich etwas in der Richtung tun würde. Oder haben Sie telepathische Fähigkeiten?«
»Manchmal glaube ich es fast. Ich bin im Studentenheim. Können wir hier essen?«
»Ausgeschlossen. Nach acht gibt es dort nichts mehr, aber davon ganz abgesehen: wenn wir unser Gespräch öffentlich machen wollen, sollten wir uns gleich über Lautsprecher unterhalten. Essen wir bei mir. Ich habe einen Auflauf da und alle Zutaten für einen Salat. Ich hole Sie ab. Können Sie in zehn Minuten unten sein? Ich habe übrigens Scotch, Gin und Wein. Reicht das?«
»Offen gesagt«, antwortete Kate, »spiele ich gerade mit dem Gedanken, das Trinken aufzugeben. Ich scheine ja wirklich in dem Ruf zu stehen, an nichts anderes zu denken.«
»Ihre Pläne in Ehren, aber ich rate Ihnen eins: Fangen Sie nicht heute abend damit an. Ich bin sogar entschlossen, mich mit Ihrer berüchtigten Raucherei abzufinden.«
»Ich werde mir Mühe geben, dafür angemessen dankbar zu sein«, sagte Kate.
»Mit Gin bin ich völlig zufrieden; seit ich hier bin, ist das geradezu mein Lieblingsgetränk geworden. In zehn Minuten also!«
Veronica lebte in einem Apartment, das E. E. Cummings wohl »angenehm bescheiden« genannt hätte. Kates Ansichten über Wohnungen unterschieden sich nicht sehr von ihren Ansichten über Restaurants. Geschmackvoll gestaltete Räume langweilten sie, insbesondere wenn die Hand des Gestalters überall sichtbar war.
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Viel Platz und bequeme Sessel dagegen gefielen ihr, und noch mehr gefiel ihr, wenn man spürte, daß in einem Raum gelebt und vorzugsweise auch gearbeitet wurde – nicht so wie in viel zu vielen Wohnungen New Yorks, die Kates Meinung nach verkündeten: Bin ich nicht gut durchgestylt und ausgestattet, bin ich nicht originell und geschmackvoll? Veronicas Wohnzimmer zeigte keine Anzeichen von derartigen Bekenntnissen und verkündete auch nichts weiter als: Hier wird gearbeitet. Setz dich, und wir reden.
Veronica stellte Kate einen Gin und, mit leichter Grimasse, einen Aschenbecher hin. »Natürlich geht es um Patrice«, sagte sie. »Das haben Sie sich bestimmt schon gedacht. Vielleicht haben Archer und Herbert mich nicht erwähnt.
Ich glaube, sie fürchten sich ein wenig vor mir und haben mich sozusagen auf Eis gelegt.«
»Nun«, sagte Kate, »jetzt sind Sie jedenfalls vom Eis herunter. Möglich, daß die beiden Sie in unseren vielen Gesprächen über Patrice erwähnt haben, ich erinnere mich nicht genau.«
»Das spielt auch keine Rolle. Ich glaube, Archer und Herbert haben den Verdacht, daß ich in Patrice verliebt war, und in gewisser Weise haben sie damit auch recht, aber nicht so, wie sie vermuten. Ich habe Patrice geliebt, wie außer ihr noch einen anderen Menschen – meine Mutter. Aber wissen Sie, es sind doch die Männer, die mich erregen und von denen ich träume. Ich träume schon so lange von ihnen, habe in meiner Phantasie alle Leidenschaften so zügellos mit ihnen durchlebt, daß es keinen Grund gab, ein reales Exemplar zu lieben. Mit meinen knapp fünfzig Jahren bin ich unberührt und entsetzlich stolz darauf.«
»Und all das erzählen Sie mir«, sagte Kate, »damit ich Sie für schräg halte, irgendeine Halbverrückte, und Sie nicht ernst nehme. Sie wollen kneifen. Ich soll Ihnen Grund geben, mir das nicht erzählen zu müssen, was Sie mir eigentlich sagen wollen. Sie hoffen, es wird Ihnen erlassen. Nur weiter, épatez moi, obwohl ich bezweifle, daß Ihr kleines Spiel Erfolg haben wird.«
»Archer und Herbert erwähnten, daß Sie klug sind.
Was halten Sie übrigens von den beiden? Ich kenne Archer seit Jahren und liebte ihn – selbstverständlich nicht auf die Art wie Patrice oder meine Mutter –, ich habe ihn begehrt, verstehen Sie? Aber er macht sich nichts aus Frauen, jedenfalls nicht sexuell. Anscheinend begehre ich immer nur Männer, die unerreichbar sind. Erst vor kurzem ist mir das klargeworden, und erst seit kurzem bin ich dazu übergegangen, stolz auf meine Jungfräulichkeit zu sein, auf die Tatsache, daß ich unberührt und unversehrt bin.«
»Die Griechen«, sagte Kate, »verstanden unter Jungfräulichkeit nicht nur die sexuelle Unberührtheit. Für sie bedeutete
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