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Sueßer Tod

Sueßer Tod

Titel: Sueßer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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gewünscht?«
    Veronica sah sie mit einem Ausdruck an, der jeden Moment entweder in Verachtung oder Nachsichtigkeit umschlagen konnte. Kate registrierte es mit einer gewissen Gleichgültigkeit. Schon zu oft hatte sie beobachtet, daß Leute, die sich nicht scheuten, die heikelsten Fragen zu stellen, es nicht ertragen konnten, selbst solche Fragen gestellt zu bekommen. Aber Veronicas Gesicht signalisierte Nachsicht. »Sie haben durchaus das Recht, solche Fragen zu stellen. Die Antwort lautet: Wir haben nie darüber gesprochen. Patrice und ich, wir sahen beide das Dilemma. Wenn man mit jemandem zusammenlebt, öffnet man allen möglichen Irritationen Tür und Tor. Die Chance allein zu sein, ist dann ebenso gering wie die Chance zu intensiven Gesprächen. Uns beiden schien es besser, den Preis der Einsamkeit zu zahlen und gute, intensive Begegnungen außerhalb des häuslichen Herds zu suchen. Da Sie verheiratet sind, müßten Sie mir ja sagen können, ob ich recht habe oder nicht. Oder halten Sie die Ehe für etwas grundsätzlich anderes als das Zusammenleben zweier unverheirateter Leute?«
    »Keine Spur«, sagte Kate. »Wenn ich so offen bin wie Sie, und das scheint ohnehin mein Schicksal, würde ich sagen, Sie haben völlig recht – vorausgesetzt, es gibt genügend Platz für jeden – und genug Badezimmer. Ich glaube nicht, daß irgendeine Beziehung eine Chance hat, in der beide Partner nicht ganz selbstverständlich genügend Raum für Alleinsein und Unabhängigkeit haben.«
    »Immerhin – was Sie sagen, erleichtert mich. Lesen Sie sonntags die ›New York Times‹?«
    »Wenn ich dazu komme.«
    »Das ›Times‹-Magazin hatte vor einiger Zeit einen Mann auf der Titelseite, einen Kosmologen aus Cambridge in England, der an einer Erkrankung der 51

    Bewegungsnerven leidet. Er kann sich nicht rühren und kaum sprechen. Aber denken kann er, und seine Krankheit gibt ihm die Freiheit, seine ganze Zeit dem Nachdenken über schwarze Löcher oder ähnliche Gebilde des Weltraums zu widmen. Als ich den Artikel über ihn las, mußte ich sofort an Patrice denken, obwohl Sie wahrscheinlich nicht verstehen werden, warum. Der Autor des Artikels sagte, für Außenstehende sei die Krankheit des Mannes, Hawkins oder Hawking oder so ähnlich hieß er, wie eine Maske: sie sähen nur den gelähmten Mann in seinem Rollstuhl und weiter nichts. So ähnlich war es auch mit Patrice. Nach dem Tod ihres Mannes zählte für sie nur noch das Wesentliche: sie wollte nichts anderes als leben und, vor allem, nachdenken. Aber alle anderen sahen nur eine alternde Frau. Und alternde Frauen sind in unserer Gesellschaft schlicht unsichtbar.
    Patrice lebte mit der gleichen Intensität wie dieser Kosmologe, und niemand stahl ihr die Zeit mit der Forderung, sie müsse irgendeinem Frauenklischee entsprechen, so wie auch dem Kosmologen niemand die Zeit mit dem Anliegen stehlen kann, den Rasen zu mähen.« Veronica hielt einen Moment inne. »Aber wissen Sie, es gibt doch einen Unterschied zwischen beiden. Er hat seine Ehefrau und andere Frauen um sich, die sich um all seine Bedürfnisse kümmern. Er hat seine Assistentinnen und Studenten und Kollegen. So ergeht es Frauen natürlich nicht.
    Aber Patrice war auch auf keine Hilfe angewiesen. Niemand diente ihr, aber auch sie brauchte niemandem zu dienen – außer natürlich ihren Studenten.«
    »Was genau meinen Sie damit, daß für Patrice nur noch das Wesentliche zählte?« fragte Kate.
    »Diese wunderbare Freiheit alter Menschen, die sich um nichts mehr scheren.
    Vor Jahren sah ich einmal ein Stück von Jean Kerr. Darin kam eine Frau vor, die seit langer Zeit zum ersten Mal wieder zum Friseur gegangen war. Sie berichtete –
    und erntete großes Gelächter damit-, wie der Friseur zu ihr gesagt habe, noch eine Woche länger, und es wäre zu spät gewesen – so als hätte sie Krebs. Ungepflegte Haare bei einer Frau – so schlimm wie eine tödliche Krankheit! All das hatte Patrice hinter sich gelassen.«
    »Sie kleiden sich mit Stil«, stellte Kate fest, »Ihrem eigenen, aber mit Stil.«
    »Ja, und jahrelang habe ich darüber nachgegrübelt, woher Patrice die Sicherheit hatte, sich um derlei Dinge nicht zu kümmern. Wie hatte sie zu ihrem Selbst, diesem unangreifbaren Kern in sich gefunden? Aber darüber wollte ich eigentlich nicht mit Ihnen sprechen, nicht in erster Linie. Ich wollte von Patrices Tod sprechen – von dem Mord.«
    »Ich habe schon gehört, daß Sie glauben, sie sei ermordet worden«, sagte

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