Sueßer Tod
also Schlimmes passiert sein? »Geht’s dir gut?« fragte sie.
»Wunderbar.« Er nahm ihren Arm und zog sie an sich, während er ihr gleichzeitig den Koffer abnahm. Sie gehörten einfach zu der Generation, die sich in der Öffentlichkeit nicht richtig umarmte, sondern das eher nur symbolisch tat.
Wären wir jung, dachte Kate, hätten unsere Körper sich berührt und einander erregt. So wie die Dinge stehen, lassen wir nur unsere Augen sprechen: eine Frage der Gewohnheit. Umarmungen in der Öffentlichkeit empfinde ich als peinlich: eine Frage der Erziehung.
»Archer rief an und sagte, er wolle dich abholen. Ich bat ihn, mir den Vortritt zu lassen. Ich muß mit dir reden, und wo kann man besser miteinander sprechen als in dem Verkehrsstau, in den wir zweifellos gleich geraten werden.«
»Da du es bist, der mich abholt«, sagte Kate, während sie seinen Arm an ihrem Körper fühlte, »könnten wir doch hier am Flughafen etwas essen und trinken.«
»Die Bars werden so überfüllt sein wie die Straßen, aber weniger intim.
Außerdem kann man nicht trinken wie man will, wenn man fahren muß. Nein, auf zum Parkhochhaus! Hast du Gepäck eingecheckt?«
»Das tue ich nie, wenn ich kürzer als eine Woche verreise«, sagte Kate. »Die ganze Qual, die Frustration, selbst wenn die Koffer wirklich im eigenen Flugzeug sind. Was ist los, Reed! Ist was Schlimmes passiert?«
»Nein, nichts Schlimmes, aber etwas Aufregendes, hoffentlich. Es geht um meine Midlife-Krise, meine Absicht, das Büro des Bezirksstaatsanwalts zu verlassen. Archer wartet übrigens zu Hause auf deinen Anruf, und ich muß heute abend zu einer Sitzung. Wie sieht’s in Neuengland aus – alles in Ordnung?«
»Das würde ich nicht gerade behaupten wollen. Soll ich fahren, damit du dich ganz auf das konzentrieren kannst, was du mir erzählen willst?«
»Gut«, sagte er. »Wenn du nicht zu müde bist.«
Kate ließ den Motor an und dachte: Wie habe ich nur solches Glück verdient?
Wie ist das möglich? Und was werden die Götter sagen, wenn sie mich hören?
Reed gab ihr das Geld für die Parkgebühr, und als sie schließlich auf der Autobahn 56
waren, ermutigte sie ihn mit einem Lächeln, zu beginnen.
»Ich spiele mit dem Gedanken, eine Professur anzunehmen, wenn ich sie bekomme, und nach dem, was man so hört, stehen meine Chancen nicht schlecht.
Hast du dir je vorgestellt, mit einem Professor verheiratet zu sein?«
»Oft, in meiner düsteren Vergangenheit. Zumindest so häufig, wie ich daran gedacht habe, verheiratet zu sein, was selten vorkam. Aber ich hätte nie geglaubt, daß der Mann, den ich geheiratet habe, einer werden könnte. Guck dir das an: setzt keinen Blinker und wechselt von Spur zu Spur wie ein laichender Lachs. Reed, was für eine wunderbare Neuigkeit! Was wirst du lehren? Über die moderne Ehe, ihre Probleme, Perspektiven und Zukunft? Darin bist du schließlich Experte, mein Lieber.«
Reed lachte. »Beinah ins Schwarze getroffen. Über die Probleme, Perspektiven und Zukunft des modernen Strafrechts werde ich lehren. An der juristischen Fakultät der Columbia Universität.«
»Jurist müßte man sein!« sagte Kate, streckte ihre Hand nach ihm aus und wandte ihre Aufmerksamkeit gerade so lange von der Straße ab, daß es einem anderen Fahrer gelang, sich vor sie zu mogeln. »Immer heißt es, man soll nicht zu dicht auffahren, aber wenn man sich dran hält, wird man ausgetrickst und riskiert obendrein noch Kopf und Kragen. Aber wieder zu euch Juristen. Wenn ich da an meine armen Doktoranden in englischer Literatur denke, die in Arkansas landen und dort mit dem Mut der Verzweiflung Vorlesungen über Virginia Woolf und Foucault halten. Und ihr, ihr entscheidet euch mir nichts dir nichts, an der Columbia zu lehren. Hallo Kumpels, habt ihr Interesse an einem Juristen, der gern mal ein Weilchen Professor spielen will? War’ nächstes Semester recht?«
»Ich fürchte, ganz so ist es nicht. Ein paar Qualifikationen sind immerhin nötig, wie z.B. daß man mal früher in Fachzeitschriften veröffentlicht hat. Aber was ich wirklich vielen anderen voraus habe, das ist meine gründliche praktische Erfahrung in Gerichts- und Berufungsverfahren. Wie eine Figur in einem der eher düsteren Romane Faulkners sagt: ›Ich habe alles gesehen‹, und ich meine, ich habe wirklich alles gesehen – von den ersten polizeilichen Untersuchungen bis zur Festnahme und dem Prozeß bis in die letzte Instanz. Ich habe mich durch das ganze Strafrecht
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