Sueßer Tod
Matratze zwischen sich und die harte, harte Erde zu schieben.«
»Haben Sie Aldous Huxleys ›Antic Hay‹ nicht gelesen? Wollen Sie vielleicht doch lieber laufen? Man bewegt die Beine und schont den Hintern.«
»Am liebsten würde ich eine Flasche mit auf Ihr Zimmer nehmen, die Tür abschließen und die Rektorin denken lassen, was sie will. Ich weiß beim besten Willen nicht mehr, was mich vorhin zu dieser absurden Diskretion bewogen hat. Es muß an diesem entsetzlichen Ort liegen.«
»Wir müssen noch um den halben See laufen, bis zum Haus der Rektorin, also sprechen Sie bitte weiter, während wir gehen.«
»Wie Sie wollen! Oh, meine Großstadtstraßen, wo seid ihr? Nun, alle Tests waren in Ordnung. Patrice hatte einen Arzt gefunden, und er, der einen Freund erkannte, wenn er ihn vor sich hatte, lud sie zum Dinner ein. Das war das einzige private Treffen. Und jetzt, meine Liebe, kommt der finstere Teil.«
Archer hielt inne, um ein Blatt von seinen Schuhen zu wischen, das sich dort wagemutig niedergelassen hatte. »Wir gehen jetzt zurück, liebe Kate, zum vorletzten Sommer – das heißt fast ein Jahr vor dem Juni, in dem Patrice starb. Sie verbrachte den Sommer hier in ihrem Haus, und arbeitete an… nun, so richtig klar ist es nicht, woran sie arbeitete. Sie könnten versuchen, Veronica ganz beiläufig darauf anzusprechen. Patrice blieb die meiste Zeit zu Hause, und manchmal stöberte sie in der Bibliothek.«
»Wahrscheinlich arbeitete sie an dem Buch, dessentwegen sie in ihrem letzten Tagebuchabschnitt Virginia Woolf zitierte«, sagte Kate.
»›Aber ich wollte – wie leidenschaftlich… (und viele andere Adjektive) –
dieses Buch schreiben‹. Das muß es gewesen sein.«
»Kein Zweifel. Was immer es sein mag. Alles lief gut in jenem Sommer, aber irgendwann bekam sie eine Sommergrippe, jedenfalls hielt sie es für eine. Sie hatte einen Husten, der nicht aufhören wollte und fühlte sich schlapp. Sie wissen schon: grippig, nur ohne Fieber und ohne die typische Weltuntergangsstimmung.
Schließlich sprach sie mit jemand darüber, der sie drängte, um Himmels willen ja zum Arzt zu gehen. Und da sie ja nun einen Arzt hatte, dem sie vertraute, wandte sie sich an ihn, das heißt, sie rief ihn an. Er hatte seinen Anrufbeantworter eingeschaltet, und sie hinterließ, daß sie am nächsten Tag während der Sprechstunde vorbeikommen würde.«
»Und sie ging hin?«
»Sie ging hin.«
»Und was stellte Ihr namenloser Arzt fest?«
97
»Ich weiß es nicht. Und er weiß es auch nicht. Denn er hat sie nicht gesehen. Er war in England zu der Zeit.«
»Archer! Eine Intrige. Jedenfalls haben wir jetzt etwas in Händen.«
»Ach, meine Liebe, haben wir das wirklich? Ich fürchte, das Ganze ist eine jener Geschichten, die versickern, ohne je zu etwas so Beeindruckendem wie einer Anagnorisis oder gar einer Peripetie zu kommen.«
»Archer, noch ein Wort und ich schubse Sie in den See, das verspreche ich Ihnen. Aber leider sind wir schon am Ufersteg der Rektorin und sie könnte, wenn sie die Zeit und Kraft dazu hätte, hinauspaddeln und Sie retten. Also haben Sie noch mal Glück gehabt. Lassen Sie uns, verstohlen wie die Sünder, auf mein Zimmer schleichen, auch wenn ich beim besten Willen nicht weiß, warum wir so heimlich tun sollten. Einen unschuldigeren Biographen mit seiner persönlichen Detektivin kann es gar nicht geben.«
Trotzdem waren sie erleichtert, daß sie auf den Treppen und Fluren niemandem begegneten. Archer warf sich erschöpft und laut aufseufzend in einen Sessel, und Kate holte eine Flasche des inzwischen unvermeidlichen Laphroaig aus ihrem abgeschlossenen Koffer, nachdem sie den Schlüssel, so dramatisch wie möglich, aus der Tasche gefischt hatte. »Das Schönste an diesem göttlichen Zeug ist nicht einmal sein Geschmack, sondern daß man es, ohne daß es das geringste verliert, aus dem Zahnputzglas trinken kann. Wir werden uns abwechseln müssen. Fangen Sie an, Archer, um Himmels willen«, sagte sie und reichte ihm das Glas. »Selbst wenn das Ganze nicht des Rätsels Lösung ist, irgendeine Bedeutung muß es haben, oder warum sollte der Arzt sonst riskiert haben, Ihnen alles zu erzählen?«
»Noch dreißig Minuten, bis Veronica Sie erwartet«, sagte er. »Welch ein Nektar, dieses Getränk. Ich werde noch süchtig danach, jedenfalls, wenn ich noch länger dieses Frauencollege ertragen muß. Nun… als Patrice am nächsten Tag in die Praxis kam, saß eine Vertretung am Schreibtisch. Er sagte, er
Weitere Kostenlose Bücher