Sueßer Tod
haben. Wissen Sie, Archer, mein Lieber, daß ich morgen mit Veronica zu Abend essen werde, und darauf freue ich mich. Sie mag schwierig sein, aber sie ist weder spießig noch dumm. Ich finde, eins von beidem müßten die Leute einem mindestens bieten: entweder gutes Essen oder gute Informationen.«
»Nein«, sagte Archer, »wie das Essen selbst, sollten sie entweder tröstlich oder köstlich sein. Am besten natürlich beides.«
93
Elf
Die Wahrheit ist die kollektive, anonyme Stimme, die ihren Ursprung in einer universalen menschlichen Erfahrung hat.
Roland Barthes
Am nächsten Morgen tagte wieder die Forschungsgruppe. Aber dieses Mal hatten all die, unter ihnen auch Kate, die bereit waren, sich ernsthaft mit dem Thema feministischer Studiengänge auseinanderzusetzen, ihre Hausaufgaben gemacht. Sie stellten ihre Ideen und Argumente vor, und, wie Kate erleichtert feststellte, ähnelte die Diskussion immerhin entfernt einem wissenschaftlichen Disput. Am späten Nachmittag, nachdem die Gruppe sich durch ein Arbeitsessen geredet hatte, dem der überraschende Vortrag einer Professorin von einem nahegelegenen College gefolgt war, die man dort mit der Einführung feministischer Studiengänge betraut hatte, waren die meisten immerhin bereit, die Frage, ob ein Frauencollege feministischen Ideologien Raum in seinem Lehrplan geben sollte, ernsthaft in Betracht zu ziehen. Wie dies nun bewerkstelligt werden sollte – entweder, indem man alle Lehrenden drängte, derlei Themen in ihren Seminaren zu behandeln, oder ob spezielle Seminare, die sich dieser Thematik widmeten, eingerichtet werden sollten, das war um fünf Uhr nachmittags die zentrale Frage, die hitzig debattiert wurde. Kate empfand dies als beachtlichen Fortschritt. Aber während der Nachmittag sich in die Länge zog, wanderten ihre Gedanken immer wieder zu Archer und seinem mysteriösen Anrufer. Halb hoffte sie, Archer habe eine dringende Botschaft für sie und ließe sie aus dem Raum rufen. Als die Sitzung schließlich zu Ende war, wußte sie nicht recht, wohin sie gehen sollte, um auf ihn zu warten.
Aber als sie den Pfad vor dem Verwaltungsgebäude hinabging, kam Archer ihr schon entgegen.
»Gott«, rief er. »Bin ich froh, daß ich Sie treffe – ich wußte nicht, ob ich Sie aus Ihrem Sitzungssaal würde herausholen müssen oder auf dem Flur auf- und abgehen wie die werdenden Väter von einst.«
»Warum von einst?«
»Natürlich bin ich völlig unbedarft in diesen Angelegenheiten, aber ich dachte, heutzutage würden die Väter bei der Geburt helfen, oder jedenfalls dabei sein, wenn sie nicht gar die Babys inzwischen selbst zur Welt bringen. Eine gute Sache, ohne Zweifel.«
»Ich verstehe, was Sie meinen. Wo sollen wir hingehen, damit ich Ihre Neuigkeiten hören kann? An die nächste Bar?« fragte Kate hoffnungsvoll.
»Wissen Sie, meine liebe Kate, ich glaube, wir stapfen lieber um den See.
Gemessenen Schrittes natürlich. Es darf uns niemand hören. Und wenn wir uns mit einer Flasche in Ihr Zimmer bei der Rektorin zurückziehen und die Tür hinter uns 94
verschließen, könnte das leicht zu falschen Vermutungen führen, meinen Sie nicht?
Wenn ich schon zu einem Spaziergang bereit bin – können Sie nicht auf Ihren Drink verzichten?«
»So schlimm steht es auch wieder nicht mit mir«, sagte Kate, vergrub die Hände in ihren Jackentaschen und ging los. »Ich habe keinen Durst und bin ganz Ohr.«
»Bitte nicht so ein Tempo, ich flehe Sie an, oder mir bleibt keine Puste mehr zum Sprechen. Der Mann, der mich anrief, ist Arzt, genau gesagt, er war Patrices Arzt. Er war so aufgeregt wie Erbsen auf einer heißen Ofenplatte.«
»Wie man einst zu sagen pflegte.«
»Ja. Auf einer Dinnerparty hatte er gehört, daß ich Patrices Biographie schreibe und hier am College bin, um Nachforschungen über ihren Tod anzustellen. Gar nicht mal so daneben, wenn man bedenkt, daß es sich um Partygeschwätz handelte.
Jedenfalls, nach einem Tag voller Qualen und einer schlaflosen Nacht beschloß er, mit mir zu sprechen. Lieber mit mir als mit der Polizei, sagte er sich, und wenn ich mich als unzuverlässig erweisen sollte – nun, dann würde er eben einfach jedes Wort abstreiten. Er war kurz vorm Durchdrehen, wirklich, obwohl er im Grunde wahrscheinlich ein ganz ruhiger Vertreter ist. So hatte ich jedenfalls den Eindruck.«
»Weiter«, sagte Kate. »Sie dürfen nicht so viele Atempausen einlegen.«
»Nun, die Frage ist, ob er überhaupt glaubwürdig ist. Aber wenn er
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