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Sueßer Tod

Sueßer Tod

Titel: Sueßer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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Wissenschaft. Warum, weiß ich nicht – heute abend soll ich wohl über alles drauflos spekulieren. Aber zweifellos hindert das männliche Ambiente in Koedukationsschulen die Frauen daran, sich als Wissenschaftlerinnen zu versuchen. Man braucht bloß in den Statistiken nachzusehen, wo die berühmten Wissenschaftlerinnen ausgebildet wurden. Angst vor Mathematik zum Beispiel ist für junge Mädchen schon schlimm genug, und die Anwesenheit spöttelnder und überheblicher Jünglinge macht das Ganze gewiß nicht besser. Ich glaube, darauf läuft es letzten Endes hinaus. In einem Frauencollege kommt auch niemand auf die Idee, die Weiblichkeit von Frauen, die sich wissenschaftlich betätigen, in Frage zu stellen. Patrice verstand das ganze Problem übrigens sehr gut. O Gott, was Patrice alles verstanden hat!«
    »Offenbar war ihr Engagement für die Ausbildung von Frauen ja so groß, daß sie es an diesem College aushielt. Ehe sie starb, hielt sie doch das ganze Jahr ihre Kurse, nicht wahr?«
    »O ja. Die Ehemaligentreffen fallen immer mit den Abschlußexamen und -
    feierlichkeiten zusammen. Und viele junge Frauen aus den letzten Jahrgängen, die noch von Patrice unterrichtet worden waren, kamen zu ihr. Das Ende des Semesters ist immer eine sehr hektische Zeit. Sie war ein wenig erschöpft, glaube ich, aber nicht mehr als gewöhnlich.«
    »Im Sommer davor war sie krank gewesen, nicht wahr? Hatte sich grippig gefühlt und Husten gehabt?«
    »Als sie sich unwohl fühlte, war ich nicht hier; aber es stimmt, es ging ihr nicht gut in jenem Sommer. Glücklicherweise hatte sie einen Arzt gefunden, dem sie vertraute. Deshalb machte ich mir weniger Sorgen um sie als sonst.«
    »Wissen Sie, woran sie in dem Sommer arbeitete?«
    »Nicht genau. Sie sprach nicht gern über ihre Arbeit. Aber man merkte es immer, wenn sie ein Projekt im Kopf hatte, das sie faszinierte. Man konnte förmlich spüren, wie sie ihren geistigen Zettelkasten ständig mit Gedanken und Beobachtungen fütterte, um sie später zu verwerten.«
    »Ich glaube, nicht über seine Arbeit zu sprechen ist nicht ungewöhnlich für einen Schriftsteller. Abends, wenn ich mich in meinem gemütlichen Zimmer bei der Rektorin einkuschele, lese ich die wundervollen Briefe von Sylvia Townsend Warner – viel zu kurze Ausschnitte sind es, die ganzen Briefe wären mir lieber, aber welch wundervolle Ausschnitte! Als sie mit siebzig mit ihrer Biographie T. H.

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    Whites begann, schrieb sie jemandem davon, bat ihn aber, Stillschweigen über ihr Projekt zu wahren. ›Ich hasse es, wenn mein Tun in aller Munde ist. Ich bin abergläubisch und fürchte, es bringt Unglück über meine Arbeit‹. Wahrscheinlich empfand Patrice das auch so.«
    »Bestimmt. Aber welches Projekt sie auch verfolgte, sie fand es sehr spannend.
    Es ging wohl um das Leben von Frauen. Dessen bin ich mir fast sicher, allein wegen der Andeutungen, die sie hin und wieder fallen ließ.«
    »Dieses Thema kommt auch in ihrem Tagebuch oft zur Sprache.«
    »Ich beneide Sie darum, daß Sie es gelesen haben. Ich weiß, ich könnte natürlich in die Bibliothek gehen, wo es aufbewahrt ist, und es lesen, solange ich mich verpflichte, keine Notizen zu machen, ehe die Bibliographie erschienen ist.
    Aber irgendwie bringe ich es nicht über mich. Und, um offen zu sein: ich fürchte, daß sie kein Wort über mich geschrieben hat und daß mich das schrecklich verletzen würde, so albern sich das anhören mag.«
    »Es ist nicht albern. Aber ich kann Ihnen versichern, in ihrem Tagebuch sind nur wenige Personen erwähnt, zumindest in den letzten Abschnitten, die ich gelesen habe. Was sie am meisten beschäftigte, war ihre Vorstellung von der Gegenwart als dem einzig entscheidenden Moment.«
    »Vielleicht«, sagte Veronica, »war das auch das Thema ihres Buches. Wie läuft übrigens das Forschungsprojekt, da wir gerade von der Gegenwart sprechen?«
    »Bei dem bloßen Gedanken daran, feministische Studiengänge einzuführen, erhob sich zu Anfang großes Geschrei und Gezeter. Aber inzwischen benehmen wir uns wie Erwachsene und setzen uns vernünftig und ernsthaft mit dem Thema auseinander. Eine große Erleichterung, das können Sie mir glauben.«
    »Sollten Sie es sein, die diesen Wandel bewirkt hat, dann verdienen Sie eine offizielle Auszeichnung von diesem College. Es war die übliche Geschichte: Eine Gruppe von Feministinnen hier, jüngere Lehrbeauftragte und Studentinnen – die von den Ehemaligen mit wissendem Blick als ›radikale

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