Sueßer Tod
Feministinnen‹ bezeichnet werden – sandten eine Petition an alle Fachbereiche mit der Aufforderung, wenigstens einen Kurs mit Frauenthemen anzubieten. Welch ein Empörungssturm
– Sie können es sich nicht vorstellen. Das Kollegium, hauptsächlich aus Männern bestehend, aber leidenschaftlich unterstützt von den etablierten Frauen hier, schrieb an die Ehemaligen und an das Kuratorium und jammerte, daß Lesbierinnen dabei seien, das College an sich zu reißen. Wirklich, meine Liebe, wie Archer sagen würde, vor lauter Empörung gingen ihnen die Substantive aus und sie griffen nach den scheußlichsten Adjektiven. Das Ergebnis war, daß keiner mehr einen Pieps über feministische Studiengänge sagte, bis die Rektorin beschloß, eine Forschungsgruppe einzusetzen. In irgendeiner Zeitschrift hatte jemand geschrieben, das Clare sei das einzige renommierte College, das keine Frauenthemen oder feministische Studiengänge anbiete. Nun, und wenn man hier jetzt bereit ist, die Sache ernsthaft in Betracht zu ziehen, dann sind Sie eine 104
bemerkenswerte Frau.«
»Es ist nicht mein Verdienst, wirklich. Die Zeit war einfach reif; selbst die erbittertsten Gegner konnten die Woge nicht ewig aufhalten. Vielen Dank für das wunderbare und sehr willkommene Dinner.«
»Das nächste Mal müssen Sie Archer mitbringen. Ich verspreche Ihnen Champagner, wenn Sie Patrices Mörder gefunden haben.«
»Ich bin froh, daß Sie ›gefunden haben‹ sagen«, antwortete Kate, schon im Gehen. Aber selbst, wenn wir diesen Arztdarsteller finden, sollte er wirklich existieren, sagte sie finster zu sich selbst, sind wir dann wirklich einen Schritt weiter? Und wenn wir ihn nicht ausfindig machen, nicht einmal wissen, ob es ihn überhaupt gibt, wie sollen wir den Mörder finden oder wissen, ob er oder sie überhaupt existiert? Warum hatte Patrice nicht zu den Leuten gehört, die mit Montaigne sagten: »Möge der Tod mich rufen, während ich Kohl pflanze.«
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Zwölf
Uns kann nichts geschehen, solange der Tod uns gewiß ist.
Thomas Browne
Am nächsten Tag verließ Kate vorzeitig die Nachmittagssitzung der Forschungsgruppe und machte sich – ihr schlechtes Gewissen hinter sich herziehend wie ein Holzbein – auf den Weg zu ihrer Verabredung mit Archer und Dr. Myers. Zwar versuchte sie, sich damit zu rechtfertigen, daß die Untersuchung von Patrices Tod schließlich der Hauptgrund für ihren Aufenthalt hier sei.
Trotzdem ging es ihr gegen den Strich, die Forschungsgruppe gerade in dem Moment zu verlassen, wo man offenbar bereit war, Vorurteile zugunsten wirklicher Auseinandersetzung fallen zu lassen. Die Diskussionen am Vormittag hatten mit dem Beschluß geendet, mindestens sechs Frauen einzuladen, die an anderen Universitäten mit der Durchführung feministischer Studiengänge oder Wissenschaftsprogramme betraut waren. Der Nachmittag nun sollte der Vorbereitung auf diese Begegnungen gewidmet sein. Kate entschuldigte sich mit einer wichtigen akademischen Verpflichtung und hoffte, niemand würde sie dabei erwischen, wie sie sich mit Archer zur falschen Zeit am falschen Ort vergnügte.
Archer war wieder in Höchstform. »Dr. Myers erwartet uns«, sagte er zu Kate, während er ihr in den Wagen half, den er für diese Gelegenheit gemietet hatte.
»Und sollten wir feststellen, daß er uns in nur einer von tausend möglichen Weisen enttäuscht, dann schlage ich vor, wir verkünden, Patrices Tod ließe sich nur stochastisch erklären und verlassen erhobenen Hauptes den Raum.«
»Was das bedeuten soll, werde ich Sie nicht fragen. Erklären Sie es mir also lieber gleich«, sagte Kate, während sie losfuhren.
»Na, jedenfalls klingt ›stochastisch‹ viel schöner als ›episieren‹, und es bedeutet: rein zufällig, völlig willkürlich. Statistiker benutzen es, und ich habe gehört, daß sogar einem Computer beigebracht werden kann, stochastisch zu verfahren, zum Beispiel willkürlich eine Serie von Zahlen auszuwählen.«
»Quatsch«, sagte Kate.
»Ganz wie Sie meinen. Aber entweder hat jemand Patrice in den See episiert, oder sie wurde rein stochastisch dorthin befördert. Eine Menge zufälliger kleiner Ereignisse, die sich nicht das geringste um einander scheren könnten, gemeinsam, wenn auch vielleicht ohne bewußten Plan, Patrice ertränkt haben.«
»Allmählich frage ich mich, ob dieser Dr. Myers kein Hirngespinst von Ihnen ist, das Sie erfunden haben, um Ärger zu machen, wie der böse kleine Junge, der immer zur falschen
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