Süßer Tod
Willen nicht vorstellen. Nicht von dem Jay Burgess, den sie gekannt hatte.
»Tut es weh?«, fragte er.
Während sie nachgedacht hatte, hatte sie gedankenverloren die Beule an ihrem Hinterkopf gerieben. Das war Raley nicht entgangen. »Mir brummt immer noch der Schädel. Haben Sie vielleicht eine Cola oder so etwas?«
Er stand auf, nahm eine Getränkedose aus dem Kühlschrank und reichte sie ihr. Sie öffnete sie und trank. »Ich weiß wirklich nicht, ob Jay etwas mit dem zu tun hat, was Ihnen passiert ist«, sagte sie. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er mich erst unter Drogen gesetzt hat, damit ich mit ihm ins Bett falle, und sich dann mit einem Kissen selbst erstickt hat.«
»Nein. Irgendwer ist ins Haus gekommen und hat das übernommen.«
»Wer?«
»Weiß ich nicht.«
»Wen verdächtigen Sie?«
»Dazu kommen wir später. Lassen Sie mich erzählen, was passiert ist, als ich am nächsten Morgen in Jays Gästezimmer aufwachte.«
»Er wohnte damals nicht in dem Stadthaus, in dem er jetzt lebt – lebte.«
»Nein. In seiner alten Wohnung gab es zwei Schlafzimmer mit jeweils eigenem Bad, die durch eine Küche und das Wohnzimmer voneinander getrennt waren.«
»Richtig. Die beiden Schlafzimmer lagen an entgegengesetzten Enden der Wohnung.«
Sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, war ihr klar, dass sie sich verraten hatte. Sie sah ihn kurz an, um festzustellen, ob er begriffen hatte, was ihre Bemerkung implizierte.
Natürlich. Er sagte: »Das überrascht mich nicht.«
Sie sah ihn weder zerknirscht noch verlegen an. Höchstens provozierend. »Jay und ich gingen kurz miteinander, damals waren wir beide ungebunden, die Affäre hat sich bald totgelaufen. Tatsächlich war sie so kurzlebig, dass man sie kaum als Affäre bezeichnen kann. Es war harmlos.«
»Harmlos? Obwohl Sie inzwischen verdächtigt werden, ihn umgebracht zu haben?«
Lange blieb es still, dann sagte sie: »Erzählen Sie mir von dem Morgen nach der Party.«
Er drückte sich die Fingerspitzen in die Augenhöhle und zog dann die Finger an den Wangen herab bis über das bärtige Kinn. »Meine Erinnerung beschränkt sich auf das, was ich Ihnen gerade erzählt habe. Aber bis zum Tag meines Todes werde ich nicht vergessen, was ich Grauenvolles durchmachen musste, als ich wieder aufwachte.«
Er wachte auf, ließ aber die Augen zu. Ganz still lag er da, ging im Kopf die Wochentage durch und versuchte auszurechnen, welcher Tag heute war. Was stand heute auf dem Programm? Hatte er Bereitschaft oder nicht? Wann würde er Hallie wiedersehen?
Genau , dachte er, als hätte sein Hirn mit dem Finger geschnippt. Heute war Sonntag. Heute würde sie nach Hause kommen.
Mit diesem glückseligen Gedanken schlug er die Augen auf.
Er lag mit dem Gesicht zur Wand, aber es war nicht seine Wand. Das Bett stand zu dicht davor, als dass es die Wand in seinem Schlafzimmer sein konnte, und außerdem hatte sie die falsche Farbe.
Wo war er?
Sein Blick wanderte über die Wand bis zum Fenster, und dann ging ihm auf, dass er in Jays Wohnung war. Er erkannte den Raum wieder, weil er hier schon öfter geschlafen hatte, wenn etwa die Pokerrunde bis in die frühen Morgenstunden gedauert hatte oder als seine eigene Wohnung frisch gestrichen wurde und ihn die Dämpfe daraus vertrieben hatten. Jay hatte ihm damals das Gästezimmer angeboten, bis die Maler fertig waren. Einmal hatte Jay ihn und Hallie nach einer langen Dinnerparty überredet, in diesem Bett zu schlafen.
Daran erinnerte er sich problemlos.
Aber er hatte keine Ahnung, wie zum Teufel er gestern Abend hier gelandet war. Es war schon spät am Vormittag, dem Licht nach zu urteilen, das durch die Jalousien ins Zimmer fiel. Sie waren heruntergelassen, aber die Ränder der Lamellen waren von Sonnenstrahlen umrahmt.
Er wälzte sich auf den Rücken und stöhnte bei der Bewegung unwillkürlich auf. Sein Kopf schmerzte wie unter einer Schraubzwinge und fühlte sich schwerer an als ein Amboss. Er war nicht sicher, ob er ihn vom Kissen heben konnte, aber er wusste hundertprozentig, dass er das lieber nicht probieren wollte. Bei einer so extremen Bewegung mussten die Augäpfel explodieren. Er hatte den schlimmsten Kater der Menschheitsgeschichte, er wusste nicht einmal mehr …
Dann sah er die Hand und krächzte erschrocken auf.
Sie lag offen nur wenige Zentimeter neben seinem Schenkel, als wäre sie eben erst abgerutscht.
Diese so träge und still daliegende Hand gehörte einer Frau.
Er sprang aus dem
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