Süßer Tod
Bett. Oder versuchte es wenigstens. Seine Beine hatten sich in der Decke verheddert, sodass er ins Straucheln
kam, als seine Füße auf dem Boden auftrafen. Er landete auf einer Kniescheibe, und zwar so fest, dass sie mit einem lauten Schlag auf dem Parkett auftraf. Aber in seinem Schock spürte er das kaum.
Über dem hämmernden Dröhnen seines Herzens hörte er sein eigenes panisches Keuchen und presste mit aller Willenskraft die Lippen zusammen, um es zu unterbinden. Er rappelte sich wieder auf und blieb wie gelähmt stehen, während sein Hirn auf Hochtouren arbeitete, um eine Erklärung für das Unerklärliche zu finden.
Die Frau war tot.
Die sonnengebräunte Haut hatte den aschfahlen Farbton des Todes angenommen. Die blutleeren Lippen wirkten wie aus Gips. Ihre halb geöffneten Augen begannen schon sich einzutrüben.
Seine Schockstarre hielt etwa zehn Sekunden an. Vielleicht nicht einmal. Dann übernahmen sein Training und seine angeborene Tatkraft das Kommando. Er handelte nicht aus Mitgefühl, denn dazu hätte es einer gewissen Planung und einer bewussten Entscheidung bedurft. Raley musste nicht lange nachdenken, ihn trieb etwas wie ein Reflex an, der spontane, instinktive Drang, etwas oder jemanden zu retten.
In einem Sekundenbruchteil war er an ihrer Seite und tastete nach dem Puls. Er spürte keinen. Ihre Haut war kalt wie Marmor. Trotzdem begann er mit der Herzdruckmassage.
»Jay!«, brüllte er. »Verflucht noch mal, wo steckst du? Jay!« Seine Rufe blieben unbeantwortet. Das Haus war völlig still bis auf sein Keuchen und seine gemurmelten Stoßgebete, sie solle sich endlich bewegen, wieder atmen, wieder zum Leben erwachen.
Aber seine Mühen und Gebete waren vergebens. Er hatte es von Anfang an gewusst, dennoch gab er alles. Er machte weiter, bis seine Brust schweißgebadet war und die Schweißtropfen über sein Gesicht liefen. Oder waren es Angsttränen, die in seinen Augen brannten und über seine Wangen rollten?
Schließlich gab er erschöpft und ausgepumpt auf. Er ging in die Hocke, starrte sie an und versuchte zu erfassen, wie sich dieser grauenvolle Film mit ihm in der Hauptrolle wohl weiter entwickeln würde.
Er griff nach dem Telefon auf dem Nachttisch. Es war ein Zweitapparat für Jays Festnetzanschluss. Er wählte die 911. Die Frau in der Notrufzentrale antwortete.
»Es gab einen Todesfall. Schicken Sie einen Krankenwagen.« Er legte auf, ehe sie auch nur eine Frage stellen konnte.
Seine Fersen hämmerten laut über den Boden, als er aus dem Zimmer und durch den Gang rannte. Jay saß in der Küche auf einem Barhocker, einen Becher Kaffee in der Hand, und hatte die Sonntagszeitung vor sich ausgebreitet. Ein Kopfhörer spannte sich über seine Haare, und sein nackter Fuß klopfte im Takt der Musik, die ihm in die Ohren dröhnte.
»Jay!«
Raley glaubte nicht, dass Jay ihn hörte, aber offenbar hatte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrgenommen. Er drehte den Kopf und begann sofort zu lachen, was unter den gegebenen Umständen obszön wirkte. Erst viel später ging Raley auf, was für einen bizarren Anblick er geboten haben musste. Nackt, mit weit aufgerissenen Augen und wild mit den Armen fuchtelnd, um seinen Freund auf sich aufmerksam zu machen.
Sobald Jay die Kopfhörer abgesetzt hatte, sagte er: »Das Mädchen…«
»Du siehst aus wie der wilde Mann von Borneo«, schnaubte Jay.
»Da ist ein Mädchen …«
»Ich weiß, aber ich verspreche, dass ich niemandem …«
»Sie ist tot.«
Jay schluckte sein Lachen hinunter. Dann fiel sein Lächeln in sich zusammen. »Was?«
Raley drehte sich um und rannte in dem sicheren Bewusstsein, dass Jay ihm folgen würde, ins Gästezimmer zurück. Er behielt
recht. Jay blieb in der offenen Tür stehen, sah entsetzt auf den Leichnam und schlug sich die Hand vor den Mund. »Fuck.«
»Ich habe versucht, sie wiederzubeleben, aber…« Raley fuhr sich mit der Hand über den Kopf. »Jesus.« Weil er das Gefühl hatte, gleich in Ohnmacht zu fallen, beugte er sich vor, stemmte die Hände gegen die Knie und atmete mehrmals tief durch.
Als er sich wieder aufrichtete, stand Jay schon neben dem Bett und betrachtete die leblose Gestalt. »Sieht aus, als wäre sie schon länger tot.«
»Ich bin aufgewacht. Habe sie neben mir liegen sehen. So.«
Jay wischte sich noch einmal über den Mund. »Scheiße, Mann.«
»Ich weiß. Ich habe schon den Notarzt gerufen.«
Jay nickte gedankenverloren. »Zieh dir Hosen an.« Raley starrte ihn an, als hätte er
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