Süßer Zauber der Sinnlichkeit
sei bloß ein Versehen. Ein Irrtum, so wie in deinem Falle!"
Möglicherweise wurde Armand von ihrem Kummer und Leid doch berührt, zumindest ein wenig. Denn im nächsten Moment hob er behutsam die Hand und ließ sie tröstend über Dominies feuchtes Haar gleiten.
"Obwohl ich gelobte, nie wieder gegen einen anderen Mann die Waffe zu erheben, könnte ich deine Bauern und Vasallen doch im Waffendienst unterweisen und mir eine Verteidigungstaktik für Wakeland und Harwood ausdenken."
"Wirklich?" Dominie wandte ihm das Gesicht zu, auch wenn sie nichts weiter erkennen konnte als sein Profil, das sich scharf im Lichte des soeben aufgegangenen Mondes abzeichnete. "Das würdest du?"
"Solange ich nicht selbst das Schwert erheben muss, will ich gerne alles in meiner Macht Stehende tun, um deine Pächter und eure Ernte vor St. Maur zu sichern."
Ihr war, als schwebe eine süße, sonderbare Spannung erwartungsvoll in dem Zwischenraum, der ihre Lippen von seinen trennte.
Armand Flambard wird dich auf keinen Fall küssen, schalt Dominie sich. Einstmals, vor fünf langen Jahren, ja, da waren sie ein Paar gewesen, doch inzwischen war zu vieles geschehen.
Doch mittlerweile waren sie beide zu anderen Menschen geworden. Es gab den jungen feurigen Mann nicht mehr, ebenso wenig wie die züchtige junge Lady – beide waren tot wie der Vater und der ältere Bruder. Mit Leib und Seele hatte Armand sich dem enthaltsamen Leben eines Benediktiners versprochen. Sie aber stand ihren Vasallen gegenüber in der Pflicht, einen Krieger zum Mann zu nehmen, der ihre Gefolgsleute auch zu verteidigen wusste.
Falls ihr noch ein letzter kleiner Rest von Illusionen geblieben war, so war ihr dieser von der Last ihrer neuen Rolle ausgetrieben worden. Kein Kuss, so wusste sie wohl, konnte das wiederherstellen, was einst zwischen ihr und Armand bestanden hatte. Und doch …
Trotz alledem ertappte Dominie sich bei dem Wunsch, sie dürfe an Zauber und Wunder glauben. Für ein paar verstohlene Augenblicke in Kälte und Dunkelheit hätte sie gerne so getan, als habe es die fünf Jahre nie gegeben und als könne sie mit Armand noch Küsse tauschen wie früher in glücklicheren Tagen.
Durch eine Lücke oben im Astwerk sahen Dominie und Armand, die dicht aneinander geschmiegt lagen, das bleiche Rund des Vollmonds.
Armand konnte sich nur wenige Qualen ausmalen, die noch heftiger schmerzten als diejenigen eines charakterstarken Mannes, welcher die ganze Nacht eine begehrenswerte Frau in den Armen halten musste, obendrein eine, die kein Geheimnis daraus machte, wie sehr sie ihn verabscheute. Sein Körper allerdings scherte sich nicht darum. Er begehrte sie trotzdem. Und er ließ Armand bitterlich dafür bezahlen, dass der diesem Verlangen entsagte.
Er lag auf dem Rücken, den Arm um Dominie geschlungen, während sie ihren Kopf auf seine Schulterbeuge gebettet hatte. So ruhte sie an seine Seite geschmiegt, den linken Arm und das linke Bein über Armand gestreckt. In dieser Haltung wurden sie überwiegend von Dominies Umhang zugedeckt. An einigen Stellen war es Armand noch kalt, an anderen hingegen nahezu unerträglich warm.
War sie sich wohl im Klaren darüber, welche Wirkung sie auf ihn ausübte? Genoss sie gar sein Unbehagen und die Schwere der Versuchung, welche sie für ihn darstellte?
Wie gerne er sie geküsst hätte! Und noch so vieles mehr!
Es wäre ihm lieber gewesen, sie hätten ihr Gespräch bis zum Morgen aufgeschoben, denn dann hätte er einen sicheren Abstand wahren können. Vor ihrer Unterredung, da hatte er sich nach ihr gesehnt, gewiss. Doch nur nach dem warmen, weiblichen Körper, der sich jetzt an seinen schmiegte, während sich die noch frische Erinnerung an den Anblick ihres Leibes in sein Gedächtnis einbrannte und ihn umso mehr anstachelte.
Was mochte sie seinetwegen in all den Jahren erlitten haben? Zu den Schuldgefühlen, an denen er all die Jahre schwer getragen hatte, gesellten sich neue Gewissensbisse. Zum ersten Mal fragte Armand sich, ob er wohl richtig gehandelt hatte, als ihm damals der Treueschwur gegenüber der Kaiserin Maud gewichtiger erschien als das Dominie gegebene Eheversprechen oder der stillschweigende Beistandspakt mit ihrem Vater.
Seit Lincoln hatte sein einziger Schutzschild gegen die Verzweiflung in der unverbrüchlichen Gewissheit bestanden, dass sein Handeln richtig gewesen war. Dass ihm keine Wahl geblieben war, als dem Pfade zu folgen, auf den seine Ideale ihn geführt hatten, koste es, was es wolle.
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