Süßer Zauber der Sinnlichkeit
wilden, dämonischen Blick in den Augen schwebte es über ihr. Als sein Mund sich zum Sprechen öffnete, quoll ein Schwall aus dickem, hellrotem Blut hervor, der sich auf Dominies Wange ergoss.
Der Schrei, der ihr zuvor in der Kehle erstickt war, brach sich nun schlagartig Bahn in einem abrupten, gellenden Kreischen, das nicht verstummen wollte.
Mit einem Ruck wachte Armand auf. Wo war er?
Zunächst hatte er das Gefühl, zu träumen, als müsse alles ein Traum sein. Warum sollte er sonst hier draußen im Walde ruhen, begraben unter Zweigen, statt in der bescheidenen Behaglichkeit des Schlafsaals in der heimatlichen Abtei?
Als er sich schon auf ein wirkliches Erwachen gefasst machte, flammten plötzlich vor seinem geistigen Auge die Ereignisse des vergangenen Tages auf, blendend hell wie ein gezackter Blitz, der den Nachthimmel spaltet.
Dominie! Er schlug ihren Umhang sowie die Decke aus Zweigen beiseite und sah sich suchend um, doch sosehr er sich auch bemühte – es war keine Spur von ihr zu entdecken. Als er ihren Namen rief, ertönte als Antwort allein das Morgengezwitscher der Singvögel.
Hastig raffte er sich hoch, und die beißende Morgenkühle zwickte ihm in die nackten Beine. Er fischte Dominies Umhang vom Boden, schüttelte das welke Laub herunter und wickelte ihn sich um die Hüften.
Wohin konnte sie bloß gegangen sein? Und wozu? Ohne wärmere Kleidung als nur ihr Leinenhemd holte sie sich glatt den Tod!
Bei diesem Gedanken fielen ihm seine eigenen Kleidungsstücke ein. Nachdem er sich eine Weile umgeschaut hatte, um sich zu orientieren, verließ er den Platz bei den zwei hohen Eichen und schritt zu der Stelle, an der er nach seiner Erinnerung seine Kleidung zum Trocknen aufgehängt hatte. Sie war fort, doch der Ast hing noch tief, niedergebeugt von der Last des nassen Gewichtes, welches er die ganze Nacht getragen hatte. Verflixt! Dominie musste die Sachen wohl mitgenommen haben! Er verkniff sich ein derbes Schimpfwort, drosch mit der offenen Hand an einen Baumstamm und stieß ein verärgertes Knurren aus. Plötzlich erscholl aus der Ferne ein zwar gedämpfter, doch deutlich vernehmbarer Schrei des Entsetzens.
"Dominie!" rief Armand aus und rannte in jene Richtung, aus welcher der Laut gekommen war. Der um die Hüften gewundene Umhang behinderte aber seine Schritte und drohte, ihn zu Fall zu bringen. Nachdem er ihn beiseite gefegt hatte, stürzte er durch die Baumreihen, in der Hand das flatternde Tuch.
Abermals brüllte er Dominies Namen aus vollem Halse und hielt einen Augenblick lauschend inne. Obwohl keine Antwort erfolgte, glaubte er doch gedämpfte Geräusche zu hören, die von weiter vorne kamen, von einer Stelle am Rande des holprigen Waldpfads.
Erneut lief er los und folgte dem Pfad, während eine drohende Ahnung in ihm aufstieg. Kurz darauf erfasste sein Blick inmitten des Farbengemisches aus waldigem Grün und Braun einen Klumpen aus schäbigem Schwarz und ausgeblichenem Weiß.
Als er darauf zustürzte, entdeckte er zu seiner Verblüffung zwar seine Kleidungsstücke, doch keinerlei Lebenszeichen von Dominie. Im selben Moment aber brach ein Entsetzensschrei aus dem hohen Farngestrüpp ganz in der Nähe und hallte hoch droben im Astwerk wider.
Über das flach gewalzte Unterholz schnellte Armands Blick hin zu der krampfhaft zuckenden Gestalt eines bäuchlings ausgestreckten, schwarz gewandeten Mannes. Unter ihm eingeklemmt wand sich eine in Todesangst schreiende Dominie, die panisch versuchte, den Liegenden von sich herunterzustoßen.
Glutheiße Wut loderte in Armand auf, so machtvoll, dass er von Kopf bis Fuß erschauerte. Er stürzte sich ins Gebüsch, packte den Kerl beim Haarschopf, riss ihn von Dominie herunter und schmetterte ihn rücklings vor einen Haufen bemooster Felsblöcke.
Seine Gedanken galten allein Dominie. Als er sie in seine Arme schloss, war ihr Schreien bereits verstummt und stockendem Schluchzen gewichen. Ihr Gesicht war blutverschmiert, und auch die Vorderseite ihres Leinenhemdes war blutdurchtränkt. Wehe, der räudige Hund hatte sich an ihr vergangen!
Allein der Gedanke schnürte Armand dermaßen die Kehle zu, dass er das Gefühl hatte, zu ersticken. Würden Hunderte im Angesicht Gottes geschworene Eide ihn wohl daran hindern können, die Hand zu erheben?
Zum Glück hatten ihn die Instinkte des Kriegers noch nicht ganz und gar verlassen. Als Dominies Arm ihm entgegenzuckte, fuhr er blitzschnell zurück, noch bevor er das blutige Messer in ihrer Hand
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