Süßer Zauber der Sinnlichkeit
Tuch am liebsten sofort vom Leibe reißen. So gut es eben ging, half sie ihm dabei, ihr das Hemd abzustreifen. Als sie schließlich halb nackt vor ihm saß, war ihr das sonderbar gleichgültig, als gehöre ihr Köper jemand anderem.
"Du kannst mein Untergewand haben", schlug er ihr vor. "Es fühlt sich mittlerweile ganz warm an."
Abwehrend schüttelte Dominie den Kopf und griff nach ihrem Wams. "Keine Zeit!"
Armand gab keine Antwort, sondern hob die Tunika an und hielt sie so, dass Dominie hineinschlüpfen konnte. Danach band er ihr den Brotbeutel um die Hüften, legte ihr den Umhang über die Schultern und zog ihn fest.
Plötzlich war in der Ferne das Heulen eines Hundes zu hören.
"Los!" rief Armand, bevor er auf die Füße kam und Dominie mit sich hochzog, der nur einige unsichere Schritte gelangen, ehe ihre Knie abermals nachgaben.
"Lass mich!" Sie ließ sich zu Boden sinken, wobei sie ihre schwachen Gliedmaßen verwünschte. "Ich verstecke mich hinter einem Stamm und tarne mich mit Laub. Sobald ich wieder Kraft in den Beinen habe, komme ich nach!"
Für einen Moment runzelte er die Stirn, während er überlegte, welche Möglichkeiten sich ihnen noch boten. Dann aber schüttelte er den Kopf. "Nein, ich kann dich nicht hier lassen!" Dabei fasste er sie unter den Armen, stemmte sie hoch und packte sie sich auf die Schulter.
"Was soll das, Flambard?"
"Merkst du das nicht?" Auf seinen Wanderstock gestützt, wankte er mit ihr den Pfad entlang. "Ich bringe dich von hier fort. Sage mir Bescheid, wenn du glaubst, dass deine Beine dich wieder tragen werden."
Das Unangenehme und Schmähliche an dieser Lage, wie ein Sack über der Schulter eines Mannes zu liegen und durch den Wald geschleppt zu werden, all das schreckte Dominie aus Entsetzen und Verwirrung auf. Sie waren noch nicht weit gelangt, als sie Armand bereits auf den Rücken tippte. "Lass mich lieber herunter, sonst stolperst du womöglich noch und brichst dir die Knochen! Ich glaube, ich kann ohne Hilfe weiterlaufen!"
"Nun denn!" Er konnte seine Kurzatmigkeit nicht verbergen, als er schwankend anhielt und sie zu Boden gleiten ließ. Während sie sich auf den Wanderstock stützte, musste Dominie sich mit Macht auf jeden einzelnen Schritt konzentrieren. Mit jedem wackligen Tritt jedoch gewann sie an Sicherheit, bis sie schließlich den Waldessaum von Thetford Forest erreichten und sich auf einem grünen, von der hellen Frühjahrssonne erwärmten Höhenzug wiederfanden. Dominie hatte das Gefühl, als wäre sie soeben aus einem entsetzlichen Albtraum aufgewacht.
"Ich möchte mich bei dir bedanken!" Die Worte, die ihr schon geraume Zeit durch den Sinn gegangen waren, brachen nun förmlich aus ihr heraus, und sie war heilfroh, dass ihr dabei nicht die Stimme versagte. Als Armand ihr einen fragenden Blick zuwarf, fügte sie noch hinzu: "Dafür, dass du dich so um mich gesorgt hast nach … nun ja, nach …"
"Oh, bitte sehr! Das war doch selbstverständlich", gab er zurück. "Aber so viel habe ich gar nicht getan. Wäre ich nicht gewesen, wär's am Ende wohl auch nicht anders ausgegangen!"
Weil er ihr nicht zu Hilfe geeilt war, als der Wegelagerer sie angegriffen hatte? Das war noch ihre geringste Sorge gewesen!
Während er die Augen mit der Hand vor der Sonne abschirmte, blickte Armand über die wellige Hügellandschaft aus brachliegenden Feldern, Wiesen und Weiden, kleinen Gehölzen und Hecken, welche gleich einem Flickenteppich den westlichen Zipfel der Grafschaft Suffolk bedeckten. "Sobald dir klar geworden wäre, so nehme ich an, dass du auf dich allein gestellt warst, hättest du dich aufgerafft, das Notwendige erledigt und dann unbeirrt weitergemacht." Sein Blick schweifte fort von dem vor ihm liegenden Landstrich und verweilte auf Dominies Gesicht. "Genauso wie nach Lincoln, als dich die Kunde vom Tode deines Vaters und deines Bruders erreichte. Ebenso wie damals, als dich dein Pächter warnte, St. Maur habe seine habgierigen Augen auf Harwood und Wakeland gerichtet. Abt Wilfried nannte dich eine bemerkenswerte Frau. Er hatte Recht."
Dominie fühlte den Überschwang der Bewunderung in seinen Augen und seiner Stimme so deutlich, wie sie das Sonnenlicht sehen und die Wärme auf ihrer Haut spüren konnte. In diesem Moment jedoch kam sie sich alles andere als bewundernswert vor.
"Du hast mich in den Armen gehalten, als ich wie ein kleines Kind schrie!" Dass er sie in diesem kläglichen und verzagten Zustand erlebt hatte, dafür hätte sie ihn hassen
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