Süßer Zauber der Sinnlichkeit
Tag nicht fern ist, wo du nicht mehr so wachsam sein musst!"
Bis Armand dann schließlich abgesessen war und Dominie aus dem Sattel geholfen hatte, war bereits eine kleine Menschenmenge, die eigentlich beim Abendbrot hätte sitzen müssen, im Hofe zusammengelaufen. Dominies Stimmung hob sich, als sie erkannte, wie erregt alle miteinander flüsterten und Armand in einer Mischung aus wohlwollendem Erkennen und unverhüllter Ungläubigkeit begafften. Einige der Anwesenden, die er mit Namen begrüßte, strahlten stolz über diese Auszeichnung.
Pater Clement bahnte sich mit seinen Ellbogen eine Gasse durch die kleine Ansammlung von Burgbewohnern.
"Haben meine alten Augen mich also doch nicht getäuscht!" rief der Priester aus und umklammerte Armands Hand. "Nach Lady Dominies Weggang kam mir schon die Befürchtung, dass sie wohl selbst zum Kloster Breckland aufgebrochen sei, um sich persönlich zu überzeugen! Seitdem habe ich kein Auge zugetan vor lauter Sorge, ich könne sie womöglich bloß einem frommen Wunschphantom hinterhergeschickt haben!"
Ehe Armand darauf eingehen konnte, entließ Dominie die Umstehenden mit einer knappen Handbewegung und einem strengen Blick, mit welchem sie dann auch den Priester bedachte. "Ich hoffe, Ihr habt nichts von alldem meiner Mutter verraten!"
"Sei unbesorgt, mein Kind", betonte der Priester. "Ein solch tumber Tor bin ich nicht! Lady Blanchefleur nimmt an, du seiest nach Harwood gegangen, obgleich sie schon die letzten zwei Tage ungeduldig auf deine Rückkehr wartete. In der Großen Halle ereilte uns die Nachricht, du kämest in Begleitung eines Gastes. Deine Mutter bat mich, einmal nachzusehen und euch beide zum Mahl zu laden. Wird das eine Freude sein, wenn erst allen bekannt ist, wen du da mitgebracht hast!"
"Falls man unseren Empfang im Burghof als Zeichen deutet, dann, so glaube ich, Pater, könntet Ihr Recht haben." Dominie fasste Armand beim Ellbogen, und zusammen folgten sie Pater Clement die lange, abschüssige Zugbrücke hinauf zum eigentlichen Burgfried.
Die gute Nachricht eilte ihnen geschwind wie auf Flügeln voraus. Als sie die Große Halle betraten, brach ohrenbetäubender Jubel los. Gavin kam quer durch den Raum gerannt, um sie willkommen zu heißen, während Dominies Mutter von der erhöhten Tafel überrascht zusah.
Rutschend kam der Knabe vor Armand zum Stehen und starrte zu ihm empor, als versuche er, den Kutte tragenden Fremden mit dem Helden, an den er sich düster erinnerte, in Einklang zu bringen. "Dann stimmt es also, Dominie? Du hast Armand Flambard ausfindig gemacht und zurückgebracht. Ach, hättest du mich doch mitgenommen!"
Armand strich dem Jungen über die rotbraunen Locken. "Das hätte deine Schwester wohl kaum gekonnt, junger Sir! Sie musste sich doch während ihrer Abwesenheit darauf verlassen können, dass ein wehrhafter Kriegsmann auf Wakeland nach dem Rechten sieht!"
Stolz warf der Junge sich in die Brust, so als glaube er jedes Wort. "Ihr müsst gewiss hungrig sein nach eurer Reise! Kommt an die Tafel!"
Als sie über den Teppich aus raschelnden Binsenmatten zur Ehrentafel schritten, warf Dominie Armand einen verstohlenen Seitenblick zu. Er schaute Gavin mit solch wehmütigen Augen nach … als breche ihm schier das Herz!
"Was ist mit dir?" flüsterte sie ihm zu.
Einen Augenblick lang zweifelte sie, dass er ihr darauf antworten würde. Aber kurz bevor sie die Tafel erreicht hatten, murmelte er mit bebender Stimme: "Der Knabe ähnelt so sehr deinem Bruder Denys, als er und ich im gleichen Alter waren!".
War es wohl möglich, dass auch Armand sich wünschte, sie könnten die Zeit zurückdrehen zu jenen Tagen, als das Leben gefahrloser und einfacher verlief? Zu Tagen, als die Flambards und die De Montfords einander aufs Engste verbündet zur Seite standen? Und als ihnen beiden, Dominie und Armand, eine gesicherte, glückliche Zukunft winkte?
Die Große Halle von Wakeland, der Palas, sah noch genau so aus, wie Armand sie in Erinnerung gehabt hatte: die hohe, von schweren Eichenbalken getragene Decke und riesige steinerne Feuerstellen zu beiden Seiten. Fenster mit Rahmen aus poliertem Horn sorgten für Licht. Zwei lange, auf Böcken ruhende Tischplatten erstreckten sich an den Längsseiten des Raumes, dazu eine dritte auf einem erhöhten Podest am Kopfende, wo die Familie nebst Ehrengästen thronte.
Auch die Geräusche waren noch dieselben – das Knistern der Binsenmatten am Boden, das Klappern des Holzgeschirrs auf den Tafeln, das
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