Süßer Zauber der Sinnlichkeit
darüber das Hirn zermartert. Und immer, wenn sie sich die Antwort auf diese Frage vorstellte, war sie nur allzu häufig in törichte, begehrliche Fantasien verfallen.
In dem Bestreben, sich beides, Rätsel und mögliche Lösung, aus dem Kopf zu schlagen, hatte sie sich in eine erschöpfende, vielgestaltige Aufgabe gestürzt: die Anwesen und Gehöfte der De Montfords darauf vorzubereiten, der in den Fenns lauernden Bedrohung zu begegnen. Mit Pächtern, die in jener Gegend jeden Weg und Steg kannten, hatte sie mögliche Anmarschrouten des Gegners erkundet und das Für und Wider unterschiedlicher Alarmierungsmethoden besprochen – Hornund Lichtsignale oder Reiter, die die Feinde rechtzeitig erspähten. Ja, sie hatte sogar eigenhändig zur Schaufel gegriffen und beim Ausheben der Gruben geholfen, in denen Vorräte gehortet und vor marodierenden Horden geschützt werden sollten.
Solcherlei Arbeiten trugen dazu bei, dass sie tagsüber gedanklich beschäftigt war und abends im Nu einschlief, noch ehe sie sich fruchtlosen Hirngespinsten hingeben konnte.
Als sie aber an diesem sonnigen Maitag nach Wakeland ritt, fehlte ihr diese Beschäftigung, und so drohten die teuflischen Fantasiegebilde sie abermals heimzusuchen.
Zu beiden Seiten der schmalen Landstraße wogte das reifende Korn, welches von Tag zu Tag höher zu sprießen schien, in einer sanften Brise. Tief sog Dominie das frische, süße Aroma blühenden Lebens ein. Es nährte die keimende Hoffnung, die sich in ihrem Herzen eingenistet hatte.
Abseits des Weges arbeiteten sich ältere Kinder mit langstieligen Hacken durch die Garbenreihen von Hafer, Roggen und Weizen und jäteten Unkraut. Dominie fiel ein Junge auf, der sie mit heftigem Armschwenken auf sich aufmerksam machte. Als sie ihr Pferd zügelte, schulterte er seine Hacke und rannte auf Dominie zu.
"Gib Acht, Gavin!" rief sie ihrem Bruder zu. "Dass du nicht das Getreide niedertrampelst!"
Indem er ausnahmsweise einmal ihre Mahnung beachtete, verlangsamte der Junge seinen Schritt und tastete sich vorsichtig bis zum Ackerrain vor.
"Wohin des Weges?" Er blickte zu seiner Schwester hoch, während er die Augen vor der Sonne abschirmte.
"Nach Wakeland, Mutter besuchen und einmal schauen, wie die Dinge dort stehen. Möchtest du mitkommen?" Sie tätschelte ihrem Ross die Flanke. "Du kannst hinter mir aufsitzen!" Mit seiner aufgeweckten Fröhlichkeit hätte der Bruder ihr während des Rittes sowohl die Zeit als auch irgendwelche Gedanken an Armand vertreiben können.
Für einen Augenblick sah es so aus, als führe ihn die Einladung tatsächlich in Versuchung. Kopfschüttelnd lehnte er dann aber ab. "Armand hat mir versprochen, ich dürfe an den nachmittäglichen Wehrübungen teilnehmen, wenn ich vorher beim Unkrautjäten helfe. Er meint, ich würde ein recht guter Bogenschütze!"
Ein nachsichtiges Lächeln umspielte Dominies Mundwinkel. Seit Armands Rückkehr hing ihr Bruder wie eine Klette an ihm.
"Nun, wie du willst. Ich werde Mutter bestellen, du seiest wohlauf, und dir etwas saubere Wäsche mitbringen." Ein kurzer Ruck an den Zügeln, und das Pferd setzte sich wieder in Gang. "Wenn auf Wakeland alles in Ordnung ist, müsste ich übermorgen zurück sein."
"Gott mit dir, Dominie!" rief Gavin ihr nach. "Ich werde Armand so gut Gesellschaft leisten, dass er dich kaum vermisst!"
Das sorglose Versprechen ihres Bruders ging Dominie während des Rittes nach Wakeland nicht ganz aus dem Sinn. Gavin hin oder her – sie würde Armand bestimmt nicht fehlen. Oder?
Sie und Armand waren in den letzten Monaten beide derart in Anspruch genommen, dass sie sich an manchen Tagen nur zum Abendbrot begegneten, und auch dann redeten sie ausschließlich über sachliche Dinge wie beispielsweise das ermutigende Reifen des Getreides und das günstige Wetter, welches allen wie ein Geschenk des Himmels erschien. Sie hielten sich auf dem Laufenden über die Fortschritte in den Bemühungen, die Verteidigung auszubauen und den künftigen Ernteablauf zu sichern.
Nie zuvor im Leben waren ihr aber alltägliche Angelegenheiten dermaßen gleichgültig gewesen. Sie ertappte sich dabei, wie sie gleichzeitig hoffte und bangte, ihre Gespräche könnten eine Wendung zu heikleren Themen nehmen, ähnlich wie an jenem Abend, als Armand sie geküsst hatte.
Dass Armand sie angeblich nicht ohne inneres Ringen aufgegeben haben wollte, rief bei ihr gemischte Gefühle hervor. Mit Worten allein hätte er sie wohl kaum überzeugen können. Doch in der
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