Süßer Zauber der Sinnlichkeit
leidenschaftlichen Abbitte seines Kusses und seiner gequälten Stimme hatte sie die bittere Wahrheit gefühlt.
In gewisser Weise ließ diese neue Erkenntnis sein damaliges Fortgehen noch unversöhnlicher erscheinen. Hätte er ihr seinerzeit doch bloß irgendein Zeichen gegeben! Dann hätte sie ihn möglicherweise überreden können, lieber dem Herzen zu folgen als seinen idealistischen Prinzipien. Und doch: Das Wissen, dass sie ihm einst so viel bedeutet hatte, gab ihr einen wichtigen Teil ihres Selbstvertrauens zurück, welches sie überhaupt erst vermisste, seit sie es so plötzlich wieder gefunden hatte.
Die Vergangenheit ließ sich nicht mehr ändern, auch nicht durch noch so viele Gespräche. Ebenso wenig ließ die Zukunft sich durch Worte beeinflussen. Zu viele Schranken und Sperren türmten sich zwischen ihr und Armand auf. Selbst wenn eine davon zu bröckeln begann, blieben die anderen doch so unüberwindbar und undurchdringlich wie eh und je.
"Ich habe Dominie versprochen, dir Gesellschaft zu leisten, solange sie fort ist." Gavin De Montford fixierte Armand mit einem schwärmerischen Blick, mit welchem er seinen unfreiwilligen Helden jedes Mal völlig aus dem Konzept brachte.
"Das war sehr freundlich von dir." Aber eigentlich wäre es Armand lieber gewesen, wenn der Bursche seine Schwester bei ihrer Stippvisite nach Wakeland begleitet hätte. Nicht, dass er Gavin nicht mochte – ganz im Gegenteil! Aber die intensive Erinnerung an seine glückliche, verlorene Jugendzeit und die unverdiente Bewunderung des Jungen zehrten allmählich ebenso stark an seiner Nervenkraft wie Dominies fortwährende Nähe.
"Den ganzen Morgen habe ich mich mit Unkraut herumgeplagt, wie du's mir aufgetragen hast." Zum Beweis hielt Gavin die schmutzverkrustete Hacke hoch. "Bringst du mir jetzt ein paar Kunststücke mit dem Schwert bei?"
Armands Blick schweifte über das flache Wiesenstück, welches sich außerhalb des mauernbewehrten Vorhofes der Burg erstreckte. Während der Atempause zwischen Eggen und Heumahd in diesem Monat hatte er Dominies wehrfähige männliche Vasallen herbestellt, um sie in Kampftechniken zu unterweisen, welche sie später bei der Verteidigung ihrer Heimstätten und Familien verwenden konnten.
"Es wäre mir lieber, du verfeinerst noch ein wenig deine Fähigkeiten am Bogen, ehe du dich ans Fechten begibst." Armand wappnete sich schon innerlich gegen den flehenden Blick des Knaben.
Ein Bogenschütze genoss den Vorteil, dass er aus der Distanz kämpfen konnte, vor allem aus der Deckung heraus. Armand war der Gedanke unerträglich, der Junge könne eventuell in die gefährlichere Nahkampfzone geraten.
"Falls denn ein Überfall erfolgen sollte …", Armand betete zu Gott, dass ein solcher ausbleiben möge, "… so hoffe ich doch, dass wir die Angreifer in die Flucht schlagen, und zwar mit möglichst wenig Blutvergießen unsererseits!"
Offenbar formte sich in Gavins jungem Kopfe ein ganz neuer Gedanke. "Früher, da warst du einmal unser Feind, nicht?"
Armand nickte wehmütig. "Traurig, aber wahr. Obschon ich es mir beileibe nicht wünschte!"
"Warum kommst du uns dann nun zu Hilfe?" Die Frage fiel dem Jungen anscheinend genauso schwer wie Armand die Antwort. "Und woher sollen wir wissen, dass wir dir trauen können?"
Während Armand noch krampfhaft überlegte, wie er eine dem Knaben verständliche Erklärung formulieren solle, ertönte hinter ihnen eine tiefe Stimme. "Ich bitte Euch, Mylord, gebt dem jungen Herrn die gebührende Antwort! Ist es doch eine Frage, welche ich mir selbst seit Eurer unerwarteten Rückkehr mehr als ein Mal gestellt habe!"
Es war Wat FitzJohn. Als Armand sich zu ihm umdrehte, musste er sich gewaltig zusammennehmen, um nicht aus der Haut zu fahren. Der Kerl konnte einen zur Weißglut reizen – ein Zustand, welcher sich eigentlich für einen langmütigen Benediktiner nicht gehörte. Lag es wohl bloß an der kaum verhüllten Aufsässigkeit des Burschen? Oder mehr an der ungezwungenen Art und Weise, wie er Dominie ansah und mit ihr sprach?
"Wenn dir die Frage so auf der Seele lag, warum hast du sie dann nicht laut vorgetragen, Master FitzJohn? So wie der Knabe hier?" Der Kastellan konnte ihn gerade noch griesgrämig angucken, ehe Armand mit einer ausladenden Handbewegung auf die Vasallen wies, welche gerade bei ihren Waffenübungen waren. "Erregt irgendetwas an meinem Handeln etwa den Verdacht, ich würde mit Eudo St. Maur gemeinsame Sache machen?"
"Vielleicht sind meine
Weitere Kostenlose Bücher