Süßer Zauber der Sinnlichkeit
Entscheidung überlassen, so hätte dies vermutlich den Gang der Ereignisse nicht verändert. Zumindest aber hätte mein Fortgehen nicht dazu geführt, dass du an dir selber zu zweifeln begannest."
Langsam glitt seine Hand abwärts, bis sie Dominies Wange umfasste. "Wer weiß – vielleicht wärest du in der Lage gewesen, mich aus meiner Ausweglosigkeit zu führen, denn du hast ein Gefühl für all die feinen Schattierungen zwischen Schwarz und Weiß."
Dominie wünschte, sie hätte ihrem eigenen Urteil so sicher trauen können, wie Armands Worte klangen. "Stelle dein Licht nicht unter den Scheffel!" Sie neigte den Kopf zur Seite und küsste ihn sanft auf die Hand. "Du verkörperst vornehme Werte: Wahrhaftigkeit, Ehre, Gerechtigkeit, Friedensliebe. Und für diese Normen trittst du ein, in guten sowie in schlechten Zeiten, koste es, was es wolle. Unser Heimatland wäre jetzt nicht so zerrissen, gäbe es auf beiden Seiten mehr solche aufrichtigen Männer wie dich!"
"Zu viel des Lobes!" Seine Hand fuhr sacht über ihren Wangenknochen. "Ich bin nicht mehr der, welchen du noch als junges Mädchen bewundert hast!"
"Das weiß ich wohl, und anfangs grämte es mich zutiefst. Ich wollte dich so wieder finden, wie ich dich in Erinnerung hatte, unverändert, obgleich ich selbst mich gewandelt hatte. Was war ich nur für eine Närrin!"
"Meine Torheiten stehen den deinen in nichts nach; sie übertreffen sie gar!" gestand Armand. "Ich wünschte mir, dass du so geblieben seiest, wie du damals warst, aber so genau erinnerte ich mich nicht mehr an dich. Ich frage mich, ob ich mir jene andere Dominie nur ausgedacht habe, denn dieser Scheinfigur hätte man eher widerstehen können als der echten!"
Die Liebkosungen seiner Hand sowie seiner Stimme, sie erweckten in Dominie ein Gefühl süßer Glückseligkeit – ein Empfinden, welches ihrem Herzen seit langer Zeit fremd geworden war. Im Grunde hätte sie ihrem Begehren freien Lauf lassen und Armands Verlangen ausnutzen sollen, um damit ein für alle Mal sicherzustellen, dass er auf Harwood blieb. Doch sie brachte es nicht über sich, diesen unschuldigen, intimen Moment zu unterbrechen.
Er drehte den Handrücken nach innen und ließ die Finger sanft über ihre Wange gleiten, dann abwärts über den Hals, die Schulter und sodann am Arm hinunter. "Diesmal überlasse ich dir allein die Wahl", betonte er und barg dabei ihre Hände in den seinen. "Und ganz gleich, wie du dich entscheidest – ich werde es dir nicht übel nehmen. Das verspreche ich dir."
"Meine Entscheidung steht bereits fest!" Hätte er ihr die Hände nicht festgehalten, sie hätte ihn mit den Armen umschlungen.
"Das denkst du!" mahnte Armand. "Doch sei gewarnt! Falls ich bleibe, falls wir uns vermählen, werde ich in die Welt zurückkehren, und die weltlichen Pflichten, sie werden die Pflichterfüllung von mir fordern!"
"Was redest du da, Armand?" Hätte er ihr damit gedroht, sie vom Turme herunterzustürzen – Dominies Entsetzen hätte nicht schlimmer ausfallen können. "Hast du denn nichts aus dem gelernt, was dich dein Treueschwur gegenüber Kaiserin Maud gekostet hat?"
"Vor einigen Augenblicken deuchten dich meine Ideale gar nicht so töricht!" Beinahe widerstrebend gab er ihre Hände frei. "Und auch nicht meine Bereitschaft, dafür Opfer zu bringen!"
"Das ist etwas anderes."
"Wieso? Weil's in der Vergangenheit lag? Weil's dich nichts kostete?"
"Mich nichts kostete? Wie kannst du so etwas behaupten? Deine Entscheidung zugunsten der Kaiserin war doch für mich verhängnisvoller als für dich! Jeden Tag, fünf Jahre lang!"
"In der Tat, das stimmt. Verzeih mir, dass ich dir etwas anderes unterstellte. Denn dass es solch arge Folgen für dich zeitigte, gerade das war für mich am schlimmsten zu ertragen. Insbesondere deshalb, weil es nicht deinem freien Willen entsprach."
Und welche Wahl ließ er ihr jetzt?
"Versuche bitte, mich zu verstehen, auch wenn du meiner Logik nicht folgen kannst. So ich meine Pflicht ganz nach Belieben tue oder lasse, wird diese Verpflichtung wertlos. Und auch ich selbst gehe jeglichen Wertes verlustig!"
Sie war so dicht davor gewesen, das Meiste von dem, was sie fünf Jahre zuvor verloren hatte, zurückzubekommen. So wahnsinnig nahe daran, jenen Mann für sich zu gewinnen, den sie mit allen Fasern ihrer Weiblichkeit begehrte. Und nun im letzten Augenblick scheitern zu müssen …
Und doch: ein Teil von ihr verstand ihn durchaus, gegen ihren eigenen Willen und wider bessere
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