Süßer Zauber der Sinnlichkeit
Also straffte er die Lippen zwischen zwei Fingern und stieß einen schrillen Pfiff aus.
Für einen Augenblick ebbte der Lärm im Burghof ab, und aller Augen richteten sich auf den Anführer.
"Alle, die marschbereit sind: aufsitzen und vor der Mauer antreten!" rief er.
Erneut schwoll das Getöse und Gewimmel an, nach der vorübergehenden Stille sogar noch lärmender. Pferde drängten durchs Tor, einige am Zügel geführt, andere schon mit Reiter, eine Anzahl gar mit einem zweiten, leichteren Mann auf dem Rücken.
Armand nahm Dominie in die Arme, verzweifelt bemüht, ein ganzes Leben voll Zärtlichkeit und Hingabe in einem einzigen, innigen Kusse verschmelzen zu lassen.
Sie zuckte zusammen, und ein überraschtes Quietschen entfuhr ihr, als Armands Lippen sich auf die ihren senkten. Dann aber hob sie die Hände und barg sein Gesicht in beiden Handflächen, jeder einzelne ihrer feingliedrigen Finger eine Liebkosung für sich. Sie schmeckte so süß wie die reifste Frucht des Sommers, beträufelt mit warmem Honig und zu einem berauschenden Sirup vermengt. Eines wurde ihm klar: Kostete er davon an jedem Tage eines langen, langen Lebens, so würde er dieses besonderen, Leben spendenden Trunks niemals überdrüssig werden.
Als er die Blicke der Umstehenden spürte, wusste er, dass es taktlos war, Dominie so besitzergreifend vor aller Augen zu küssen. Doch wie sie sich anfühlte, wie sie duftete und schmeckte, all das ließ ihn jegliche Höflichkeit vergessen und jegliche andere tugendhafte Zurückhaltung.
War es vielleicht möglich, dass solche Glückseligkeit eine Tugend für sich darstellte? Der Gedanke rührte Armands Seele an wie ein schimmernder Sonnenstrahl, zwar bar jeder Substanz, doch mächtiger als alles sonst auf der Welt.
"Geh!" Dominies Lippen weigerten sich, dieses eine Wort zu formen, welches ihr plötzlich wie das abscheulichste in der ganzen Sprache erschien. Pflichtgefühl und Wille jedoch erwiesen sich als stärker. "Du musst!" Die Mahnung erging ebenso an sie selbst wie an ihn.
Zum Wohle eines jeden auf Harwood oder Wakeland musste sie sich aus der sicheren Zuflucht seiner Umarmung reißen und ihn fortschicken. Nun ging er hin an der Spitze seines zusammengewürfelten Häufleins, um sich einem ganzen Schwarm gnadenloser, habgieriger Halsabschneider entgegenzustellen, Banditen, die jedes einzelne jener Ideale missachteten, für deren Erhalt Armand so selbstlos gelitten und Opfer gebracht hatte.
Auf ihren Lippen spürte sie den bitteren Geschmack des Bedauerns, dachte sie doch daran, dass sie sich von ihm von einer sofortigen Vermählung hatte abbringen lassen. Wenn er dann heute fort in den Kampf ritt, um niemals zurückzukehren, so geschah ihr das ganz recht!
"Ja!" Er ließ sie zu Boden und gab sie mit einem Seufzer frei. "Ich darf nicht säumen."
Er beugte sich vor, um sie auf beide Wangen und dann auf die Stirn zu küssen. "Ich werde dich nicht beleidigen, indem ich dir eine ganze Litanei vorbete über das, was du nach unserem Aufbruch zu tun hast. Du weißt dies ja ebenso gut wie ich."
Wahrlich, das tat sie. Dennoch: Sosehr Armands Vertrauen sie auch bewegte, so wünschte sie doch, er könne noch verweilen, um ihr jede einzelne jener überflüssigen Anweisungen zu erteilen.
"Sorge dich nicht!" Sie gab sein Gesicht frei, wenn auch nur widerstrebend. "Ich werde mich um die Vorräte kümmern sowie um all jene, die Zuflucht suchen. Wenn du zurückkommst, kannst du dich selbst überzeugen, wie gut mir alles gelungen ist." Dass sie es laut aussprach, stärkte ihren Glauben an diese hoffnungsfrohen Worte.
Auch Armand machte den Eindruck, als koste er ihren Klang bis zur Neige aus. "Das werde ich!"
Genau in diesem Moment kam Gavin angerannt, Bogen und Köcher schon fest über die Schulter geschlungen, das leichte Schutzwams offenbar in aller Hast angelegt. "Verzeih, Armand, dass ich dich warten ließ." Seiner Stimme nach zu urteilen war der Junge wohl in einem fort nur im Laufschritt unterwegs gewesen, seit Dominie ihn vom Wachturm hinuntergeschickt hatte. "Es hat ein wenig gedauert, bis ich die Letzten vom Felde herunterrufen konnte!"
"Du hast mich nicht länger aufgehalten, als ich es selber gern getan hätte", versicherte Armand ihm. "Nun aber ist Eile geboten, sonst trägt die Wolfsmeute die Schlacht noch auf unserem Grund und Boden aus."
Er schwang sich in den Sattel des wartenden Rosses, griff hinunter und hievte den Jungen hinter sich auf den Pferderücken. Wahrscheinlich erriet
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