Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
»Hat er verstanden, was ihm gesagt wurde? Erinnert er sich richtig? In der Küche jedenfalls hat niemand von einem Brief gehört. Alle berichten, der Mann hätte nur zu Euch gewollt.«
»Dann, Herr Hofrat, muss ich froh sein, dass der Mann die Treppe übersehen hat und starb. Sonst wäre ich nicht mehr am Leben.«
Weißenfelder erwiderte darauf nichts. Ludwig sah so ungläubig ins kantige Gesicht seiner Schwester, dass Sabina ihn heftig anfuhr.
»Seid Ihr so naiv? Wenn der Mann keinen Brief hatte und behauptete, mein Sohn hätte ihn geschickt, war er ein von Ulrich gedungener Mörder! Was habe ich Euch gesagt im Frühjahr, als Ihr und unser Bruder es zugelassen habt, dass er Württemberg zurückerhielt? Das wisst Ihr noch, oder?«
Ludwig zuckte unter diesen verbalen Hieben. Er seufzte tief.
»Ihr habt gesagt, er solle Württemberg nie zurückbekommen, weil er ein Mörder und Verräter ist.«
»Nein, mein Bruder, ich habe gesagt: weil er ein Mörder und Verräter bleiben wird . Dass er das ist , weiß jedermann. Der Kaiser hat nicht umsonst die Reichsacht über ihn verhängt. Die Seele seines gemeuchelten Hofmeisters schreit nach Gerechtigkeit. Ich habe gesagt, er kann nicht anders. Ihr wolltet Frieden, mein Bruder. Den bekommt Ihr von ihm niemals! Er wird nie aufhören, die reformierte Partei gegen den Katholischen Bund, gegen Bayern und gegen den Kaiser zum Krieg aufzustacheln. Und nie wird er es aufgeben, mich vernichten zu wollen. Er weiß, dass ich ihn durchschaue. Er weiß vor allem, dass mein Sohn sich ihm niemals unterwerfen wird. Wir werden bedroht, Ludwig. Im besten Fall ich allein, im schlimmsten Fall Ihr, Euer Herzogtum und alle Anhänger des wahren Glaubens. Ich habe es Euch im Frühjahr gesagt: Ulrich ist ein Brandstifter. Aber nein, wie immer musste unser Bruder auf diese Schlange von Eck, seinen teuren Hofrat, hören! Und dieses Mal auch Ihr, Ludwig! Jetzt kommt das Verderben.«
Sabina hatte sich in Rage geredet. Nun beherrschte sich auch der Herzog nicht mehr.
»Eck! Immer Eck! Es reicht. Ist es das Ende der Katholiken im Reich, wenn ein müder Mann eine Stufe übersieht? Zügelt Eure Fantasie, Schwester, bei allem Verständnis. Eck ist listig und schlau, das stimmt. Seine Klugheit erweist uns große Dienste. Dank seiner vielen Ideen muss sich Bayern in diesen stürmischen Zeiten weder dem Kaiser noch den Lutheranern unterwerfen, ist eigenständiger denn je und … «
»… und elend allein, ohne richtige Freunde, weil sie alle mehrmals verraten wurden bei diesem schnöden Schaukelspiel. Wir sind Wittelsbacher, wir sind Habsburger, wir sind Katholiken, Bruder! Daran ist nicht zu rütteln. Wenn wir nicht beständig verteidigen, was wir sind, werden wir alles verlieren. Wann versteht Ihr das endlich?«
Weißenfelder erschrak beim Anblick seines Fürsten. Vor Wut zitterte Ludwig am ganzen Körper. Seine Lippen waren bleich, seine Augen rot und geschwollen. Er konnte nicht weiter untätig bleiben.
»Hoheit, Ihro Durchlaucht, lasst Euch um Gottes willen nicht so erhitzen von Sorgen und Vermutungen. Es muss geklärt werden, was dieser Bote hier wollte. Vielleicht erscheint dann alles in einem anderen Licht. Ihro Durchlaucht, wir sollten einen Boten zu Eurem Sohn schicken mit der Bitte um schnelle Antwort. Ich kann mir kaum vorstellen, dass gravierende Nachrichten mit dem Toten unterwegs waren. Ihr tauscht regelmäßig Briefe aus, nicht wahr?«
Sabina hatte sich gefangen. Sie schien selbst erschrocken zu sein über ihren Ausbruch. Sie streckte Ludwig beide Hände entgegen, doch der nickte nur erschöpft.
»Verzeiht mir, Bruder. Ihr kennt meine Not. Doktor Widmannstetter, was sagt Ihr zur Anregung unseres Hofrats?«
Der Gelehrte fuhr hoch. Während der Auseinandersetzung hatte er nur Augen gehabt für Anna Lucretia und war zutiefst beunruhigt über ihre Angst und ihr hilfloses Unverständnis. Obwohl er nicht verstand, warum er gefragt wurde, bejahte er eifrig, wie Anna Lucretias Blick es von ihm forderte. Auch Ludwig fand Atem und Stimme wieder und gab sein Einverständnis.
An diesem Abend zog sich jeder in seine Schlafstube zurück; niemand verspürte Hunger. Ludwig allein verlangte zu später Stunde noch nach Speise und Trank. Anna Lucretia weinte unaufhörlich. Das Ereignis dieses Tages machte ihre Verlobung vergessen. Während ihres Gebetes in der Kapelle hatte sie sich vorgenommen, ihren Vater zu bitten, das Verlobungsfest am Tag der heiligen Barbara auszurichten. Jetzt schien alles
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