Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
dunkel, alles unmöglich. Sie fühlte sich unheimlichen Mächten ausgeliefert, die bisher ihrem Leben fern gewesen waren.
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Am nächsten Morgen nach der Messe teilten Vater und Tante Anna Lucretia zu deren großer Überraschung mit, die Verlobung würde an Mariae Empfängnis stattfinden, nur vier Tage später, als sie gehofft hatte. Ludwig, blass und etwas unsicher auf den Beinen, streichelte zärtlich über die Wange seiner Tochter.
»Wir hatten zunächst an den Tag der heiligen Barbara gedacht, da wir wissen, wie sehr du sie verehrst. Aber bis dahin ist die Zeit zu knapp. Wir müssen meinen Bruder in München benachrichtigen und das Festmahl muss vorbereitet werden. Du hast die schönste Verlobung verdient. Das Fest zu Mariae Empfängnis ist auch einer frommen Jungfrau würdig, findest du nicht?«
Anna Lucretia fühlte solche Erleichterung, dass sie vor Freude lang schluchzte und im Trubel der Vorbereitungen die heilige Barbara vergaß. Erst am 4. Dezember wachte sie voller Reue auf und lief trotz beißender Kälte in den Hofgarten hinaus. Dort schnitt sie, wie ihre Amme es bisher jedes Jahr für sie getan hatte, Äste von nackten Apfelbäumen, die sie in der Kapelle in einen Krug mit Wasser steckte. Sie wollte, dass Johann Albrecht am Heiligen Abend das Wunder ihres Erblühens in der dunkelsten Nacht des Jahres mit ihr erleben konnte.
Beim Verlobungsmahl vier Tage später war dieses Wunder noch in weiter Ferne. Obwohl Tauwetter eingesetzt hatte, herrschte im Festsaal des fertiggestellten deutschen Baus der Residenz eisige Stimmung. Anna Lucretia und Widmannstetter, eine Zeit lang wohlig eingerichtet auf einer Insel der Seligkeit, wurden schlagartig von der rauen Wirklichkeit eingeholt.
Ludwigs Lebenswerk, die Stadtresidenz, war am Ende des Jahres 1541 alles andere als einladend. Die streng geometrische Fassade, an der die Fensterrahmen noch unbemalt waren, und mit ihren nur vier antiken Statuen wirkte wie ein Fremdkörper in Landshut. Viele der alten Häuser am Marktplatz und ein Teil der Stadtmauer samt Wachturm an der Isarseite hatten Platz machen müssen für die zwei neuen Gebäude und die dahinterliegenden Stallungen. Die imposante Martinskirche, ihre kleineren Schwestern drum herum und die Ziegelsteingiebel der Bürgerhäuser schienen dem Kubus in ihrer Mitte ausweichen zu wollen.
Anna Lucretia wiederum war auf die Schöpfung ihres Vaters und ihres Verlobten sehr stolz. Dennoch vermisste sie die Trausnitz und fühlte sich sogar gedemütigt. Das ›Piano nobile‹, die herzogliche Wohnung im ersten Stock, war klein. Sie bot Platz für weit weniger Gäste als die großen Speisesäle auf der Burg. Der unehelichen Tochter stand nur eine bescheidene Verlobungsgesellschaft zu. Das war bitter, aber nicht alles, was das Mädchen betrübte. Obwohl sie sich zurückgesetzt fühlte, zeigte ihr die langjährige Herzensdame ihres Vaters dennoch offen Neid und Feindseligkeit.
Ursula von Weichs, herzogliche Mätresse seit 15 Jahren, war eine herbe, eigenwillige Schönheit, wie ihr Liebhaber kokett und kunstsinnig zugleich. Sie wagte es, das blonde Haar genau wie er auf Ohrläppchenlänge geschnitten zu tragen. Dazu trug sie das gleiche goldbestickte Samtbarett auf dem Kopf. Ihre blauen Augen konnten freundlich und fröhlich blicken – doch das taten sie an diesem Tag nicht. Ursula wollte nicht einsehen, dass Ludwig seiner unehelichen Tochter durch die Heirat ein ehrbares Leben ermöglichte, aber nicht ihr, die auch eine geheime Eheschließung akzeptiert hätte. Sie sprach kaum und gab vor, unpässlich zu sein, um ihrem unverhohlenen Gram Anstand zu verleihen.
Auf der anderen Tischseite war die Stimmung nicht heiterer. Trotz Einladung war Herzog Wilhelm nicht aus München gekommen. Auch Frau oder Sohn hatte er nicht geschickt, sondern seinen wichtigsten Berater, den einflussreichen Hofrat Doktor Leonhard von Eck, was Sabina in höchstem Maße erzürnte. Ohnehin war sie betrübt und besorgt, da ihr Bote bisher aus Württemberg nicht zurückgekommen war. Die Herzogin verabscheute Eck, der, wie sie meinte, ihre beiden Brüder bevormundete und zum eigenen Nutzen hinterging.
Eck dachte genau das Gleiche von ihr, wusste es aber bei Tisch besser zu verbergen. Schon seine Erscheinung machte jede Entspannung unmöglich: Eck, Doktor des Rechts der Universität Bologna, trug stets den schwarzen Gelehrtentalar. Die strengen Falten seiner Schaube und der eckige Hut unterstrichen das scharfkantige, hagere Gesicht mit den
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