Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
ausgeprägten Wangenknochen und dem autoritären Mund. Seinen dunklen, weit auseinandergesetzten Augen entging nichts. Sie waren der Grund, warum Sabina ihn mit einer Schlange verglich. Sein Gehör, sein Verstand und sein Wille waren genauso scharf wie seine Augen, genauso schnell. Längst hatte er aufgehört, sich milde geben zu wollen. Niemand nahm es ihm ab. Trotz des Schweigens in der herzoglichen Familie redete er munter mit seinen Landshuter Kollegen, vor allem Weißenfelder, sowie mit dem italienischen Architekten der Stadtresidenz, Meister Sigismondo.
Das Essen rettete schließlich die Stimmung und lieferte gleichzeitig reichlich Gesprächsstoff. Der Architekt hatte nicht nur seinen Bautrupp nach Landshut mitgebracht, sondern auch einen Koch namens Claudio Soldani. Dieser kochte seither auch für Ludwig und Ursula, wenn der Herzog seine Privaträume in der neuen Residenz nutzte. Diese waren durch einen oberirdischen Geheimgang mit Ursulas Haus verbunden, eine für die Hofmätresse viel einfachere Situation als auf der Trausnitz. Soldani hatte eingewilligt, das Verlobungsmahl nach Ludwigs Wünschen zu kredenzen: ausschließlich italienisch und dem Anlass angemessen. Da die Festgesellschaft nur klein war, wurde auf die sonst übliche strenge Speisenordnung verzichtet. Allen setzte Soldani dieselben Speisen vor wie dem Herzog und der Herzogin. Auch Schaugerichte wie gefüllter Bergadler oder Bärenkopf wurden nicht aufgetischt. Stattdessen zierten vergoldete Orangen und Zitronen mit grünen Blättern den Tisch. Man aß nicht aus der Servierschüssel oder auf Brotscheiben, sondern von feinen Zinntellern, eine willkommene Annehmlichkeit für die aufgeklärten Gäste. Den Malvasierwein trank man aus leichten Noppengläsern. Weniger Freude bereitete manchen Anwesenden eine erst vor Kurzem erfundene Neuigkeit: die Miniaturausgabe einer Heugabel in Metall. Besonders Sabina sah sie angewidert an.
»Was soll denn das sein, lieber Bruder?«
Ursula von Weichs lächelte darüber – unerträglich arrogant, wie die Herzogin fand.
»Eine Tischgabel, Ihro Durchlaucht. Sie ist sehr passend, um kleine Bissen zum Mund zu führen.«
Sabinas versteinerte Mine veranlasste Widmannstetter, der Mätresse zu Hilfe zu kommen.
»Die Benutzung dieses Objektes ist am päpstlichen Hof gang und gäbe. Ich wäre dort ausgelacht worden, hätte ich es nicht gelernt. Es ist einfach und bringt mehr Essensfreude als Messer und Löffel allein. Die französische Königin, eine geborene Medici, hat dieses Utensil mit großem Erfolg am Pariser Hof eingeführt.«
»Dort sollen die Sitten auch besonders verdorben sein, wie ich gehört habe«, entgegnete ihm Sabina. »Wenn auf fürstlichen Tischen Dinge liegen, die in die Hände von Bauern und vom Teufel gehören, wundert mich aber auch gar nichts mehr. Ich halte es mit unseren Vätern, denen ein Messer in der Hand genügte.«
Sie tadelte auch die süßen Vorspeisen. Die Salbeitorte fand noch ihren Beifall, aber sonst missbilligte sie, was Anna Lucretia so köstlich schmeckte und außerdem bezaubernd aussah: elfenbeinfarbene Mandeln in Honig und Orangensaft gekocht, gebratenes Eiklar in Limonenblütensirup mit leuchtend roten Granatapfelkernen und – das allerschönste – ganze Eidotter in Zitronensirup sanft pochiert, bestreut mit kandierten Orangenblüten und Pistazienkernen.
»Das ist die mailändische Art«, berichtete Sigismondo.
Ludwig lächelte stolz: Sein Landshut konnte es aufnehmen mit der größten und reichsten italienischen Stadt. Leonhard von Eck verstand das gut. Ob es ihm gefiel oder nicht, blieb sein Geheimnis. Er lobte alles ausführlich, hantierte geschickt mit der Gabel, die er für die Teigtaschen mit Huhn- und Parmesanfüllung für unverzichtbar erklärte. Sabina empörte das.
»Diese sogenannten Ravioli halte ich für mehr als verzichtbar. Wozu braucht man so salzigen Käse? Noch dazu gerieben und vermischt mit Zucker und Zimt! Soll es den Magen kühlen oder wärmen? Wenn das nicht krankmacht … « Auch die Zuckermengen bereiteten ihr Sorgen. »Nur weil die Venezianer auf der Insel Kandie die Pflanze heutzutage anbauen, muss man sich doch nicht damit vollstopfen. Zuviel davon ist Gift!«
Mit ihrer Meinung stand sie allein. Anna Lucretia empörte es ihrerseits, dass die Tante die Pilzsuppe, ein delikates Töpfchen mit süßem Weißwein, Baumöl [1] , Orangensaft, Zimt, Nelken und Zucker stehen ließ und nur von der Königinnensuppe aus Huhn, Rebhuhn, Mandeln und
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